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Die blonde Geisha

Die blonde Geisha

Titel: Die blonde Geisha
Autoren: Jina Bacarr
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Warum ich meine Geisha-Memoiren geschrieben habe
    Der Frühsommer 1892 bescherte Japan eine heftige Regenzeit. Pflaumenregen nennen ihn die Japaner, weil er kommt, wenn die Früchte reif, prall, voller Verheißung sind. Wie ein junges Mädchen, das allmählich zur Frau wird.
    Die Luft war warm und feucht, und wie alles in diesem Land, belebte dieser einzigartige Regen meine Sinne und Sehnsüchte. Ich kämpfte mit Trauer und Freude gleichermaßen, entdeckte, dass mein Körper sich veränderte, sich nach Erfüllung verzehrte. Ich wollte lieben und geliebt werden.
    Und ich wollte eine Geisha sein.
    Den Geist dieser Frauen, ihren Wagemut und ihre Schönheit bewunderte ich sehr. Sie erfüllten Träume und lebten in einer märchenhaften Welt voller Romantik. Jeden Tag, wenn ich mich auf den Weg zur Missionarsschule machte, starrte ich die jungen Geisha-Anwärterinnen an, die in ihren hohen Holzschuhen mit den kleinen Glocken an mir vorbeiliefen und mit ihren weiß geschminkten Gesichtern unter rosafarbenen Papierschirmen hervorschauten.
    Abends, wenn ich mit meinem Vater unterwegs zum Kabuki-Theater war, beäugte ich die Geishas, die in Rikschas fuhren und den formellen schwarzen Kimono mit Blumen und Vögeln trugen. Nachmittags kicherte ich, wenn ich an der Mama-san vorbeilief, die auf ihrer blank polierten Veranda saß und an ihrer Pfeife aus Elfenbein zog.
    Von Fantasievorstellungen überwältigt, fühlte ich mich zu ihnen hingezogen, getrieben – ich musste einfach dieser faszinierenden, erotischen Welt der Geishas angehören. Ich wollte wissen, wie diese Welt der Blumen und Weidenbäume in einem Land existieren konnte, in dem Mädchen in den ersten drei Tagen nach der Geburt auf den kalten Boden gelegt wurden, damit sie ihren Platz in der Gesellschaft kennen lernten.
    Warum die Frauen in diesem Land der Shôguns und Samurais den Blick gesenkt hielten, ihre Herzen und Tränen verbargen oder höchstens auf die harten Kopfkissen aus Holz weinten, konnte ich nicht begreifen.
    Ich sehnte mich so danach, meinen erotischen Fantasien nachzugeben, dass ich einen Weg finden musste, diesen aufgestauten Empfindungen freien Lauf zu lassen. Und so betete ich jeden Tag zu den Göttern, mir den Mut zu schenken, meine Seele von dieser unbarmherzigen Qual zu befreien.
    Noch hatte ich nicht die süße Wonne einer männlichen Berührung erfahren und auch nicht die Leiden der unglücklichen Liebe. Meine jungen Brüste waren klein und hart wie rote Kirschen, meine Hüften schmal wie die eines Jungen. Ich konnte nur erahnen, was mich in einem Land erwartete, in dem Frauen kein Genuss vergönnt war, in dem es für sie nur Pflichten gab.
    Allerdings nicht immer.
    Wie man hörte, besaßen die Frauen in den Geisha-Vierteln ein Wissen, das seit zweihundert Jahren streng geheim gehalten und nur mit anderen Geishas geteilt wurde. Mittel, die die Haut ewig jung hielten. Zaubertränke, die Männer dazu brachten, sie bis zum Wahnsinn zu lieben. Fremdartige Spielzeuge, die ihnen und ihren Liebhabern unendlichen Genuss bereiteten.
    Angeregt durch diese Geschichten schlich ich mich in die Geisha-Viertel von Shinbashi, wo Gelächter und rastloses Seufzen durch die hohen Mauern drangen. Konnte ich, eine Fremde, hinter die Maske des Anstandes dringen und lernen, wie man einem Mann Vergnügen bereitete?
    Oder mir selbst?
    War das möglich?
    Die seltsamen Wege der Götter, die mir in jungen Jahren bereits viel Trauer und Leid bereitet hatten, erlaubten es mir, in diesem Sommer ein Geisha-Haus zu betreten. Obgleich ich langes, blondes Haar hatte, golden wie Sonnenstrahlen, die durch die Morgendämmerung brechen, und Augen so grün wie der Seidenbrokatmantel eines Händlers, wurde ich in Kioto zur Maiko, zur Geisha-Anwärterin. Und nach drei Jahren Ausbildung wurde ich eine Geisha.
    Jetzt, so viele Jahre später, habe ich ein Alter erreicht, in dem ich das Schweigen brechen kann, ohne den Geisha-Kodex zu verletzen. Ich kann mit der Außenwelt die Schönheit und Anmut teilen, die erotischen Fantasien und die verborgenen Geheimnisse.
    Während ich hier im Garten des Teehauses sitze, wo sich Schmetterlinge auf meinen Schultern niederlassen, und ich den Glocken im Wind lausche, werde ich all das auf feinstem Reispapier, das so durchscheinend ist wie die Flügel einer Motte, niederschreiben: Ich werde von den Männern erzählen, die ich liebte, von meiner Geisha-Schwester, die ihr Leben für mich riskierte, von der Mama-san, die mich wie eine eigene Tochter
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