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Betty kann alles

Titel: Betty kann alles
Autoren: Betty McDonald
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euch, wir befinden uns am Vorabend einer Revolution.»
    «Anne Marie hat mir erzählt, daß sie für acht Dollar die Woche einen Bürobetrieb ganz allein geleitet hat», fuhr ich in meinem Bericht fort.
    «Sie braucht nicht noch stolz darauf zu sein», versetzte Mary. «Mädchen wie diese Anne Marie sind schuld an den schlechten Arbeitsverhältnissen. Solange die Leute Angestellte kriegen, die sich für acht Dollar abschuften, stellen sie natürlich nicht dich oder mich für fünfundzwanzig Dollar die Woche an.»
    «Anne Marie ist aber wirklich nett. Sie konnte einfach keine andere Stellung finden», nahm ich meine Kollegin in Schutz.
    «Unsinn, jedermann findet eine Stellung», widersprach Mary.
    «Das stimmt nicht. Ohne dich wären wir wahrscheinlich daheim verhungert.»
    «Was eine ganz angenehme Abwechslung von den verschiedenen Stellungen gewesen wäre, die Mary uns verschafft hat», meinte Dede anzüglich.
    Unsere Nachbarin Rhodsie griff friedespendend ein. «Trinken wir noch eine Tasse Kaffee auf Bettys neue Stelle.»
    «Das ist eine gute Idee», stimmte Mutter zu. «Alison, Anne und Joan, ihr könnt schon mal anfangen, den Tisch abzuräumen.»
    «Die einzige bittere Seite an Bettys neuer Stellung ist, daß ich jetzt wahrscheinlich ihr Erbe antreten muß, was Mary anlangt», sagte Dede. «Ich sehe Mary jetzt schon vor mir, wie sie mich anruft und sagt: ‹Dede, was du auch tust, höre sofort auf damit und komm in die Stadt. Ich habe eine herrliche Stellung für dich. Du wirst für einen entzückenden Mann in einer Diamantenmine in Südafrika arbeiten, und der Viehfrachter sticht Sonntag morgen in See.›»
    «So eine ideale Stellung würde ich nie weitergeben», erklärte Mary. «Die würde ich für mich behalten.»
    Es wurde allgemein gelacht, aber mich übermannte eine gewisse Wehmut. Ich kam mir vor wie ein armes, doch freiheitsdurstiges junges Mädchen, das einen langweiligen, sehr reichen Mann geheiratet hat und sich klarmacht, daß finanzielle Sicherheit niemals die fehlende Romantik ersetzen kann.
    Ich blieb beim Nationalen Arbeitsbeschaffungsamt bis zu seinem seligen Ende am 31. Dezember 1935, und getreu Marys Prophezeiungen stieg ich von einer Vier-Dollar-Aushilfe zur Hundert-Dollar-monatlich-Stenotypistin, dann zur Hundertfünfunddreißig-Dollar-monatlich-Sekretärin und schließlich zur achtzehnhundert-Dollar-jährlich-Abteilungsleiterin auf.
    Es waren schöne und anregende Zeiten. Meine Arbeit war äußerst interessant, und außerdem konnte ich mich in der wohltuenden Sicherheit einer Anstellung mit regelmäßiger Aufbesserung, bezahltem Krankenurlaub und Altersversicherung wiegen. Am bestechendsten von allen Vorzügen aber war für mich die Tatsache, daß ich jenseits der Barriere angelangt war. Jetzt zerbrach sich jemand anders darüber den Kopf, ob er meine Gedanken richtig stenographiert hatte. Das war für mich wohl die größte Befriedigung.
    Schon am ersten Tag meiner Tätigkeit für das Finanzamt hätte ich bestätigen können, daß zwischen dem Finanzamt und mir eine unüberbrückbare Welt lag. Erstens einmal waren alle in diesem Amt Tätigen Leute, die sich nie etwas hatten zuschulden kommen lassen; zweitens wurde alle nicht im Departement gesammelte Erfahrung als nicht vorhanden betrachtet; drittens hatte ein jeder, ganz gleich, was er früher getan hatte, von ganz unten anzufangen, und viertens wurde selbst von den auf der niedrigsten Arbeitsstufe Herumkrabbelnden absolute Loyalität verlangt, und man hielt es für selbstverständlich, daß ein jeder vierundzwanzig Stunden täglich sozusagen auf Abruf zur Verfügung stand.
    Aber es war eine Regierungsstelle, und gebrochene Beine bildeten kein Hindernis, also füllte ich sämtliche Fragebogen in dreifacher Ausführung aus, legte getreulich über jede Minute von meiner Geburt an Rechenschaft ab, hob die Hand zum verlangten Treueeid und begann meine Arbeit, die mir hundert Dollar monatlich eintrug.
    «Fehler dulden wir nicht», wurde mir bedeutet, woraufhin meine Hände zu zittern begannen und ich einen Fehler nach dem anderen machte. Die Fehler traten sofort und unweigerlich zu Tage, da die falschen Offerten bejahend beantwortet wurden und diejenigen Geschäftsleute, die niedrigere Angebote gemacht hatten, natürlich das Büro stürmten, im Vorraum aufs Pult hieben und zu wissen verlangten, was zum Teufel denn da los sei.
    Wochenlang trug ich von halb neun bis halb vier oder halb acht Uhr abends bis halb elf Uhr Namen und Preise auf lange
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