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Betty kann alles

Titel: Betty kann alles
Autoren: Betty McDonald
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zusammen essen. Ich habe mir meine Brote mitgebracht, aber das macht nichts. Gleich um die Ecke ist ein Delikatessenladen, wo Kaffee ausgeschenkt wird. Wenn man Kaffee und Dessert dort bestellt, kann man ruhig seine mitgebrachten Brote essen. Ich heiße übrigens Anne Marie Offenbach. Meine Mutter ist eine gute Bekannte von den Sheffields.»
    «Ich heiße Betty Bard, und meine Schwester Mary ist eine Bekannte von Sheffields», erwiderte ich.
    Wir gingen zusammen zurück zu den Büros, und ich sagte dem Bürovorsteher, daß ich Maschine schreiben könne, woraufhin er mich an einem kleinen Tischchen hinter Anne Marie installierte und mir eine Liste der Mitglieder des Arbeitsbeschaffungsprogramms zum alphabetischen Abschreiben gab.
    Um zwölf Uhr ging ich mit Anne Marie in den Delikatessenladen, und wir aßen dort zu Mittag. Anne Marie gestand, daß sie es haßte, arm zu sein, haßte, sich ihre Brote mitbringen zu müssen, und mehr oder weniger schon jetzt alle Leute, die mit uns arbeiteten, haßte. «Gestern kam plötzlich eine Frau neben mich geschlichen, packte mich am Arm und zischte mir ins Ohr: ‹Schreiben Sie nicht so schnell! Sie bringen uns um die Arbeit›», erzählte sie.
    «Das ist der Nachteil von großen Büros», sagte ich, aus dem Brunnen meiner Erfahrung schöpfend. «Wenn man zu langsam ist, werfen sie einen hinaus, und ist man zu schnell, wird man von den Kollegen gehaßt.»
    «Es herrscht ein scheußlicher Neid im Büro, schon jetzt», berichtete Anne Marie. «Erzählen Sie lieber niemandem, daß Sie Beziehungen zu Mr. Sheffield haben.»
    «Wie soll ich jemandem etwas erzählen?» versetzte ich. «Es spricht ja niemand mit mir.»
    «Das kommt, weil Sie in dem großen Auto vorgefahren sind. Irgend jemand hat Sie gesehen, und es geht schon das Gerücht um, daß Sie sehr reich sind und es gar nicht nötig haben zu arbeiten.»
    Ich lachte und gestand Anne Marie, daß wir nun bereits den sechsunddreißigsten Sonntag nichts anderes als Hackbraten aßen und ich mir nicht vorstellen konnte, wie man noch ärmer als wir sein sollte, und den Wagen habe mein Bruder Cleve im Laufe einer unendlich langen Kette von Tauschgeschäften erstanden, die mit einem mexikanischen Ledersattel begannen, den er als zehnjähriger Knabe von meiner Mutter bekommen hatte.
    «Wenn ich Sie wäre», sagte Anne Marie, «dann würde ich nicht bis vors Haus fahren, sondern eine Straße vorher aussteigen. In ihrer Verzweiflung und Angst sind die Leute manchmal unberechenbar.»
    Als wir um halb ein Uhr unsere Arbeit wieder antraten, fragte ich den Bürovorsteher, ob er etwa auch von meinem Reichtum gehört habe, und er erwiderte offenherzig: «Klar, darum mag ich Sie ja.» Eine Frau schräg gegenüber von mir stieß ihre Nachbarin an und flüsterte ihr etwas ins Ohr, und beide warfen mir böse Blicke zu. Ich schrieb meine Listen ab und versuchte, mich nicht beeindrucken zu lassen, aber die feindselige Haltung hing fühlbar im Raum und verdichtete sich mit jeder verstreichenden Stunde mehr.
    Der Nachmittag war heiß, die Minuten krochen nur dahin, und es entwickelte sich der alte und erbittertste aller Bürokämpfe: frische Luft oder keine Luft. Arme Marie und ich saßen an den Fenstern, die wir weit geöffnet hatten. Als wir von der Mittagspause zurückkehrten, waren die Fenster geschlossen, und es roch säuerlich nach Körperausdünstung und verbrauchter Luft. Wir rissen die Fenster sofort wieder auf, und prompt flogen spitze Bemerkungen wie Pfeile durch den Raum. «Brrr, ist das kalt, ich kann kaum schreiben.» Oder «Ich muß mir meine Wolljacke anziehen. Manche Leute scheinen am Nordpol aufgewachsen zu sein.» «Gestatten Sie, daß ich mir Ihren Mantel über die Knie lege? Es zieht so entsetzlich.»
    Um drei Uhr signalisierte mir Anne Marie, und wir verdrückten uns in den Delikatessenladen zu einer Tasse Kaffee. Als wir zurückkamen, waren die Fenster wieder geschlossen, und in meiner Schreibmaschine steckte ein Zettel: «Schreiben Sie gefälligst langsamer. Wollen Sie uns um die Arbeit bringen?»
    Am Abend aßen wir zusammen mit unseren Nachbarn im Garten hinter dem Haus. Jedermann war begierig, von meiner Tätigkeit in der Verwaltung zu hören, und ich wünschte mir nichts Besseres, als über meine Erfahrungen zu berichten. Als ich von der Frau erzählte, die Anne Marie am Arm gepackt hatte, und den Zettel in meiner Schreibmaschine erwähnte, meinte meine Schwester Mary: «Kommunisten, gar keine Frage. Sie sind überall. Ich sage
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