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Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska

Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska

Titel: Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska
Autoren: Martina André
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    |7| Prolog
    »Einen ungläubigen Menschen von einem Wunder zu überzeugen, ist immer eine schwierige Sache. Es gehört zu seiner Natur, dass er es selbst erlebt haben muss, bevor er es glauben kann.«
    (Aslan Kondrashov, Physiker 1905)
    Am frühen Morgen des 30. Juni 1908 strich ein laues Lüftchen um meine Nase. Es roch nach Sommer und Frieden, und nichts deutete auf jene Katastrophe hin, die uns schon bald darauf heimsuchen sollte.
    Für einen Moment ließen mich die warmen Strahlen der aufgehenden Sonne vergessen, dass ich nicht in Sankt Petersburg, sondern inmitten der sibirischen Taiga saß. Bereits früh um fünf kletterte ich auf den gut zwanzig Meter hohen Antennenmast, um die Sicht und die Wetterverhältnisse zu prüfen. Der Himmel zeigte sich in reinstem Blau, und der Funkkontakt zum Luftschiff und zu meinen Kameraden in der Basisstation am Fuße des Turms verlief entsprechend einwandfrei. Aslan, der unsere Mission zusammen mit Pjotr überwachte, hatte mir mehrfach bestätigt, dass unser Experiment keinerlei Kurskorrektur bedurfte, um die Versuchsstrecke von sechshundert Werst in einem Rutsch zu bewältigen. Also stimmten meine Berechnungen, und dem zeitgerechten Empfang des silbernen Boliden würde nichts mehr entgegenstehen.
    Das Szenario, das folgen sollte, war bis ins kleinste Detail geplant.
    Vor der Detonation blieb für alle Beteiligten genug Zeit, um den Schutzraum auf dem Aussichtshügel aufzusuchen. Ich sollte den weiteren Ablauf des Experiments unterhalb davon im Bunker koordinieren.
    Suchend blickte ich in die Ferne und stellte mir die Ankunft des geflügelten Feuerpferdes vor – wie Maganhir, der Schamane, unsere |8| waghalsige Konstruktion getauft hatte. Es sei ein Symbol der Kraft und werde den Schutz der Geister beschwören, verkündete er uns mit sonorer Stimme. Welche Geister das waren, verriet er uns nicht, und dass wir nicht danach fragten, sollte sich schon bald als nicht wiedergutzumachender Fehler erweisen …
     
    (Nachtrag aus dem Tagebuch des Leonard Schenkendorff, Mai
1909 )

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    |9| 1
    22. Januar 1905, Sankt Petersburg – Blutsonntag
    Ein rhythmisches Kratzen weckte Leonard Schenkendorff unsanft aus einem traumlosen Schlaf. Blinzelnd kam er zu sich. Der Blick zum vergitterten Fenster schmerzte in seinen Augen, trotz der Eisblumen auf der Scheibe, die das fahle Winterlicht dämpften. Jakov Eisenstein, ein alter Jude, dem das Haus gehörte, in dessen winziger Kellerwohnung Leonard nicht nur wohnte, sondern auch experimentierte, befreite den Eingang wie beinahe jeden Morgen mit einem Reisigbesen vom frisch gefallenen Schnee.
    Die Spiralfedern des Sofas ächzten, als Leonard sich streckte, und dabei dröhnte sein Schädel so arg, als ob er soeben einen Zusammenstoß mit einer dreispännigen Troika überstanden hätte. Schnaubend sog er die kalte Zimmerluft ein. Es stank nach abgestandenem Rauch und nach einer ganzen Wagenladung Wodka. Ein Betrunkener hatte ihm in der Nacht zuvor auf dem Nachhauseweg von einem der finstersten Viertel Sankt Petersburgs eine halbe Flasche des traditionellen Gesöffs über seinen guten Wollmantel gekippt.
    Jekatherina Alexejewa Davydova hatte keine Ruhe gegeben und ihn am Abend gegen seinen Willen in das Hinterzimmer einer schummerigen Hafenkneipe geschleppt – unten an der kleinen Newa und damit viel zu weit weg von Bohrmann und Conradi, den vornehmen Cafés am Newskji-Prospekt, wo man nur französisch sprach und die meist adligen Studienkollegen seiner Verbindung mit den feinen Damen der Petersburger Gesellschaft bei einer Tasse Schokolade flirteten.
    Katja, wie er seine grazile, aber zugleich dickköpfige Freundin liebevoll nannte, zählte nicht zu dieser Sorte von Frauen. Sie stammte aus einfachen Verhältnissen; ihre Familie beherbergte mit einer ganzen Schar von politisch aufgeheizten Verwandten ein regelrechtes Rebellennest. Leonard sah es nur als eine Frage der Zeit, bis man den ersten ihrer zahlreichen Brüder an die Wand stellen würde.
    Die Zeiten waren gefährlich; am Tag zuvor hatte eine Protestkundgebung |10| der aufständischen Arbeiter die andere gejagt. Bis in die späten Abendstunden hinein hatte die Umgebung von Sankt Petersburg regelrecht unter dem Ansturm marodierender Demonstranten gekocht. Polizisten und Kosaken streiften unablässig durch die Viertel, und obwohl soweit alles ohne größere Vorkommnisse zu verlaufen schien, war es hier und da zu Zusammenstößen und Verhaftungen gekommen. Es hieß, wegen des
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