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Betrügen lernen

Betrügen lernen

Titel: Betrügen lernen
Autoren: W Bartens
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Kollege Dr. Hagemann hat dort einen ziemlich enttäuschenden Vortrag gehalten mit dem Titel »Der Penis – Probleme und Perspektiven«, in dem er allzu viele Fragen offenließ und sich viel zu sehr auf das Medizinische konzentrierte, statt die überschätzte Rolle des Penis in der Partnerschaft zu thematisieren. Ausgerechnet Hagemann, früher mal die Hoffnung der Branche. Besser hat ihr da schon die abwägende Präsentation gefallen, die Wulf Dietrichsen über »Chancen und Risiken der Intimität in Zeiten fortwährender Verfügbarkeit« gehalten hat. Aber richtig neu ist auch das für sie nicht gewesen.
    Aber kann die berufliche Beschäftigung mit dem männ lichen Genital tatsächlich eine Erklärung sein für Claras chronische Distanz und Lustlosigkeit? Hat ihr erloschenes Interesse damit zu tun? Auch Alex hat ja beruflich fast nur mit dem Miteinander von Männlein und Weiblein zu tun. Er ist Verhaltensforscher, Soziobiologe nennt er sich, und er betont gern das Soziale, das Miteinander beim Sex. In seinem Institut für Evolutionspsychologie ist er der Experte, der die verschiedensten Tiere in ihrem Beziehungs- und Paarungsverhalten beobachtet. Flirt, Bindung, Kopulation – das ganze Programm. Monogam, polygam, er kennt alle Spielarten. Besonders fasziniert es ihn, wenn manche Tiere ihr Leben lang einem Partner treu bleiben, Präriewühlmäuse beispielsweise – während ihre promisken Kollegen, die Bergwühlmäuse, es munter durcheinander treiben. Sind viele Frauen im Publikum, betont Alex in seinen Vorträgen die Treue im Tierreich besonders und stellt sie als Erfolgsprinzip der Evolution dar. Er will sich das nur ungern eingestehen, aber wahrscheinlich machen diese romantischen Schlussfolgerungen seine Auftritte so erfolgreich.
    Und Alex kommt rum, das muss man schon sagen. Er hat im südlichen Alaska bei 20 Grad unter null den Rauhäutigen Gelbbauchmolch erforscht. Dieser Schwanzlurch produziert in seiner Haut ein starkes Gift. Bei der Paarung umklammert das Männchen das Weibchen im Wasser von oben mit den Beinen. Ihr kann das Gift aber nichts anhaben, und Feinde haben die beiden Liebenden in dieser Lage auch nicht zu befürchten. Einen besseren Schutz vor ungebetenen Gästen beim Liebesakt kann man sich kaum vorstellen. Wer die beiden Gelbbauchmolche angreift, der verendet. Kann die Nähe von Eros und Tod raffinierter aufgeführt werden?
    Im thailändischen Regenwald hat Alex die Zeit gemessen, die das Orang-Utan-Männchen nach dem Geschlechtsverkehr noch bei der Partnerin verweilt, bis es sich ausführlich dem Stuhlgang zuwendet. Was dem Menschen die Zigarette danach, ist dem Orang-Utan anscheinend die Defäkation. Den Fachartikel, in dem er die auf die Sekunde genau dokumentierten 137 Affenkopulationen und die anschließenden Entleerungen ausgewertet hat, konnte er ziemlich hochrangig publizieren.
    Aber auch für viele Menschenrituale interessiert sich Alex bei seinen Forschungen. Kaum einer seiner Kollegen kann eine so stattliche Sammlung von Bambusrohren sein Eigen nennen, mit denen die eingeborenen Völker der indonesischen Inselgruppen ihren Penis schützen, wenn sie auf die Jagd gehen. Alex beschäftigt sich also ebenfalls beruflich viel mit sexuellen Gepflogenheiten, aber ihm verleidet das nicht die Lust, im Gegenteil. Er denkt ständig an Clara und ihren auch nach fast zehn Ehejahren noch immer begehrenswerten Körper.
    Schließlich ist Alex kein Bärtierchen, keine Sechsstreifen-Rennechse und auch keine Strumpfbandnatter. Diese Tiere gelten als asexuell, sie pflanzen sich für sich und mit sich selbst fort und brauchen dazu keinen Partner. Truthähne können das angeblich auch, allein und selbstgenügsam.
    Alex will sich auch nicht die Südlichen See-Elefanten zum Vorbild nehmen, die er vor Jahren mal erforscht hat. Die kommen nur einmal im Jahr an Land, um sich zu paaren. Es gibt traditionelle Strandabschnitte, an denen sich Hunderte erwachsene Männchen und Weibchen tref fen, allerdings müssen sich die See-Elefanten erst mal bekämpfen, um die Rangfolge auszumachen, in der sie die Weibchen anschließend begatten dürfen. Wer sich dann als Chef der See-Elefanten herausstellt, ist der Strandmeister, und der hat das Vorrecht. Er kann dann so viele Weibchen hintereinander beglücken, wie er mag und solange seine Ausdauer reicht.
    Mittlerweile hat sich Alex ein System ausgeklügelt, um die häuslichen Schwierigkeiten zu lindern. Und das ist der Plan: Clara und er würden sich abwechseln mit den
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