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Betrügen lernen

Betrügen lernen

Titel: Betrügen lernen
Autoren: W Bartens
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für die Jungs hart, bis sie zur Sache kommen dürfen. Die Lady sitzt auf ihrem Lieblingsbaum, auf einem besonders auffälligen Ast, und richtet dort ihr Liebesnest ein. Dort harrt sie aus, tagelang. Dabei ruft und gurrt und maunzt und schnurrt sie, bis sich unten vor dem Baum die Schar ihrer Verehrer zu einer stattlichen Menge zusammengefunden hat. Die Jungs müssen sich erst mal prügeln und eine Rangordnung untereinander ausmachen. Doch das allein zählt nicht. Mal wählt sie einen kräftigen Grobian aus, dann einen zarten Romantiker. Den großen Männchen ist sie unterlegen, denen fügt sie sich notgedrungen. Aber zwischendurch kom men auch die kleineren zum Zug, und manche von denen schickt sie sofort wieder weg. Die dürfen nur ran, wenn die Dame es zulässt. Sonst riskieren sie einen Kampf, und dabei ziehen sie leicht den Kürzeren.
    Jetzt ist es so weit. Die Fossadame wird nicht mehr lange allein bleiben. Ich halte etwas Abstand. Die Tiere sind zwar zu klein und mit höchstens zwölf Kilogramm zu leicht, um Menschen wirklich gefährlich zu werden, aber ich will sie nicht aggressiv machen – und außerdem mir nicht die Chance verbauen, bei diesem einmaligen Schauspiel Beobachter zu sein.
    Ich habe mich in meinem Beobachtungslager eingerichtet, dokumentiere die Bewegungen und Laute, mache Fotos und hoffe die ganze Zeit, dass mein Richtmikrofon trotz der vielen anderen Störgeräusche im Urwald genügend Geräusche von der Paarung aufzeichnet. Es ist der Wahnsinn, ich werde so viel Neues über diese Tiere berichten können. Sie sind nämlich nicht nur schüchtern, sondern auch vom Aussterben bedroht. Nur noch etwa 2 300 Exemplare gibt es auf der Insel, und was sollte man ihnen daher mehr wünschen, als dass sie sich ausgiebig fortpflanzen?
    Ein männlicher Fossa darf auf den Baum. Mittlere Preisklasse, kein Schwächling, aber auch nicht Mister Universum. Verstehe einer die Frauen, warum der als Erster randarf. Es geht los, bis zu 60 Mal wird sie sich in der kommenden Woche paaren, mit zehn verschiedenen Männchen – und alles auf dem Baum ihrer Wahl. Manchmal steht sie auf Quickies, dann dauert die Chose nur eine Minute, aber es gibt auch Fossadamen, die haben es mit ihrem Partner schon auf sechs Stunden am Stück gebracht. Den Rekord hält eine Fossa nur ein paar Wälder weiter, die hat sich in den 80 Stunden, die sie auf ihrem Baum hockte, sensationelle 40 Stunden der Liebe hingegeben. Hätten die Menschen doch auch nur so ein einfallsreiches Liebesspiel!

Warten auf ein Zeichen
    Clara weiß nicht, wie Alex mit ihrem Geständnis umgehen wird. Zu Beginn des Wochenendes in Tirol hatte er wieder Hoffnung geschöpft, bis der Tiefschlag kam. Sie fragt sich besorgt, wie er das wegsteckt. Und warum er sich so lange nicht meldet.
    Seit drei Wochen ist Alex auf Forschungsreise. Vielleicht kommt er nicht mehr wieder, überlegt Clara. Bleibt irgendwo in der Wildnis, fernab von Zivilisation und Eheproblemen. Oder er geht zur Fremdenlegion wie Isidor, die Figur aus Max Frischs Roman »Stiller«. Nach Jahren käme er mal wieder vorbei, aber wenn sie ihn fragen würde, wo er so lange war, würde er wortlos wieder verschwinden. Im Roman sind schon zehn Jahre vergangen, als Isidor wieder zu Hause auftaucht, und seine Familie feiert gerade einen Geburtstag. Eine Torte steht auf dem Tisch, und als Isidor von seiner Frau gefragt wird, wo er so lange war, schießt er mit seiner Fremdenlegionärspistole wortlos in die Torte und geht endgültig.
    Clara hat auch Kuchen gebacken. Dorothee wollte mit ihrem neuen Freund vorbeikommen und ihn Clara vorstellen. Clara malt sich aus, wie schön es wäre, wenn Alex in diesem Moment hereinschneien würde. Aber wahr scheinlich würde er nur die Torte zerschießen, einen solchen Auftritt würde er sich nicht entgehen lassen.
    Doch weder Alex noch Dorothee und ihr neuer Geliebter kommen. Sie sagt kurzfristig ab, es sei etwas dazwischengekommen, ihr Freund habe sich den Magen verdorben. Aber spätestens beim Fest würde sie ihn ja sehen. Das Fest, ihr Zehnjähriges: Was gäbe es ohne Alex überhaupt zu feiern?
    Es wird langsam dunkel und wieder ein Tag ohne Nachricht von Alex. Die Kinder haben jeden Tag nach ihm gefragt. Clara macht sich Sorgen. Vielleicht ist ihm ja etwas passiert. Noch mehr aber quält sie die Vorstellung, dass er bei einer anderen ist.

Seltene Tiere
    Drei Wochen habe ich ihnen jetzt schon aufgelauert. Habe so viel von ihnen gesehen und gelernt. Habe ihre Zärtlichkeit, aber
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