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Betrügen lernen

Betrügen lernen

Titel: Betrügen lernen
Autoren: W Bartens
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ganze Zeit beobachtet habe, unsanft aus ihrem bezaubernden Schlummer geweckt.
    Und endlich, endlich habe ich es zur gleichen Zeit geschafft, das hartnäckige Hornhautpolster abzulösen, das sich auf dem Hühnerauge an meinem kleinen rechten Zeh gebildet hatte. Es drückt mich schon länger dort. Nirgendwo kann man Hühneraugen besser loswerden als in dem von den Besuchen zahlreicher Kurgäste bereits brackigen Thermalwasser. Es braucht zwar eine gewisse Zeit, bis die verkrusteten Schichten eingeweicht sind, aber dann löst sich die Hornhaut fast von allein ab.
    Während die Dunkelhaarige die Sprudelfontänen im Außenbecken des Bades zuvor sichtlich genossen hat, ist sie nun der aufdringlichen Wasserwirbel überdrüssig. Die aufgeschäumten Fluten schütteln ihren Oberkörper noch ein paar Mal heftig durch. Ihre Brüste wogen hin und her und sind der ständigen Bewegung des Wassers ausgeliefert. Zudem sieht es so aus, als ob ihr Bikinioberteil immer weiter von den sprudelnden Luftblasen aufgepumpt werde und gleich zu platzen drohte. Sie hat genug von den Wasserspielen, richtet sich auf, verlässt ihren Stammplatz in der Ruhemulde und watet dem Ausgang zu, der zur Liegewiese führt.
    Ich kann sie verstehen und mir vorstellen, wie sie sich gerade fühlt. Obwohl ich ihr die ganze Zeit mit zärtlichem Interesse aus der Ferne zugesehen habe, während ich mit meinem kleinen rechten Zeh beschäftigt gewesen bin, weiß ich um die zwiespältigen Eigenschaften von Massagedüsen in Thermalbädern. Der aufdringliche Strahl aus der Wand kann wunderbar entspannen und verkrampfte Rückenmuskeln lösen oder müde Beine auflockern. Andererseits ist er manchmal in so unvorteilhafter Höhe angebracht, dass er entweder die eben noch eng anliegende Badehose zu grotesken Formationen aufbläht oder man achtgeben muss, keinen Einlauf verpasst zu bekommen.
    Ich bleibe noch eine Weile vor meiner Massagedüse stehen und lehne versonnen an der Beckenwand. Ich taste mit dem Zeigefinger das Hühnerauge ab, das jetzt, von der Hornhaut befreit, nicht mehr so unangenehm hervorsticht. Sehnsüchtig schaue ich auf die Liegemulde, in der sie sich eben noch aalte und von den Strömungen des Whirlpools umschmeichelt wurde. Jetzt hat ein Herr, der mehr graue Haare auf den Schultern trägt als auf dem Kopf, ihren Platz eingenommen. Er trägt eine weiß-blau gestreifte Badekappe, den Klassiker, der neben der Blumenblüten-Variante in Beige für Damen als einziges Modell in den Schwimmbädern überlebt hat.
    Kurze Zeit später entdecke ich sie wieder. Sie hat sich auf der Liegewiese einen Platz gesucht, der direkt in meiner Blickrichtung liegt. Das kann kein Zufall sein. Es hätte auch woanders geeignete Standorte für ihr Handtuch gegeben. Die Sonne wird zwar bald untergehen, ist aber noch warm genug, um ihre nasse Haut zu trocknen. Sie legt sich so hin, dass ihr Blick auf das Becken gerichtet ist – und auf mich. In dieser Position kann ich sie ausgiebig betrachten, denn sie wird von der Sonne beschienen. Andererseits kann sie mich kaum sehen, denn die letzten Strahlen blenden sie, sobald sie zu mir herübersieht. Was für ein elegant geschwungener Körper. Welche Harmonie. Sie lächelt.
    Ich werde sie ansprechen. Jetzt. Ich werde den Bauch einziehen und mit rankem Becken am Beckenrand entlanggehen und mich ihr vorstellen. Oder vielleicht doch besser nachher beim Essen? Ich bin zu allem entschlossen, jetzt, da das lästige Hühnerauge endlich weg ist. Bestimmt ist sie auch geschäftlich unterwegs so wie ich und hat sich in dem Badehotel eingebucht. Allein. Eine Frau wie sie reist sicher allein. Sie ist sich ihrer Ausstrahlung bewusst, sie ist selbstsicher, und vermutlich ist sie aufgeschlossen für Neues.
    Vielleicht ist sie auch wegen des Vortrags hier, den ich morgen über »Nähe, Annäherung und Distanz in Prima tenverbänden« halten werde. Ich bin ja schon überall angekündigt. Zumindest im Kurhaus und im Hotel hängen die Plakate, auf denen zwei Schimpansen beim ausgelassenen Liebesspiel zu sehen sind. Vereinfacht gesagt, geht es in meinem Vortrag um das Paarungsverhalten von Affen.
    Ich male mir aus, wie ich schon heute einen angeregten Abend mit der unbekannten Schönen aus dem Bad verbringen werde. Vielleicht kann ich heute bereits mit ihr gemeinsam essen gehen. Ich könnte ihr Einblicke in mein abwechslungsreiches Vortragsleben geben und etwas über die Balzrituale der Paviane erzählen. Da gibt es eine Menge anregenden Gesprächsstoff. Auf
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