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Betrügen lernen

Betrügen lernen

Titel: Betrügen lernen
Autoren: W Bartens
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jeden Fall werde ich nachher noch ein wenig mit ihr an der Bar sitzen, mit ihr lachen, mit ihr flirten, ihr näher kommen, ich werde …
    Als sich der nicht sehr muskulöse und nicht sehr attraktive Mann mit dem schütteren Haar zu ihr hinunter auf das Badehandtuch beugt und sie küsst, weiß ich, dass es jetzt Zeit ist zu gehen. Ich muss das Wasser verlassen und die Niederlage mit Würde tragen. Meine Hände sind schon ganz schrumpelig geworden, Waschfrauenhände. Außerdem stehen ja überall die mit ärztlicher Autorität gezeichneten Warnschilder, dass man sich nicht länger als 20 Minuten in dem Jodquellenbad aufhalten soll. Weiß der Himmel, was dann passiert.
    Erst will ich trotzig in der Thermaltunke ausharren. Sollen sie mich doch irgendwann finden, in Jodwasser gegerbt, verschmäht, aufgeweicht von innen wie von außen. Ich fühle mich ausgebuht. Sollen mich doch die Kurärzte bergen, denke ich. Sie werden schon die richtige Todesursache feststellen. Er ist von uns gegangen im Jod, aber die Liebe hat ihn aus dem Leben gerissen, wird vielleicht ein poetisch veranlagter Gerichtsmediziner sagen, wenn sie mich untersuchen.
    Ich scheide dann doch noch nicht aus dem Leben, sondern gehe in das griechisch-römische Dampfbad. Hier beträgt die Sicht weniger als einen halben Meter. Das ist auch besser so. Ich will auf keinen Fall durch den Anblick weiterer wogender Körper abgelenkt werden.

Gästeliste
    Clara sitzt am Schreibtisch und beantwortet Mails. Der tägliche Wahnsinn. Seit zwei Stunden geht das jetzt schon so. Die Steuererklärung müsste sie auch noch erledigen, aber das wird heute nichts mehr. Sie hat sich damit abgefunden, dass sie wieder nicht alles schaffen wird, wie so oft. Irgendetwas kommt immer dazwischen. Dafür hat sie sich gerade eine Flasche Rotwein aufgemacht, nachher wird sie noch eine ihrer Lieblings-DVDs einlegen, Notting Hill oder vielleicht auch den Pferdeflüsterer . Die Entscheidung zwischen Hugh Grant und Robert Redford ist nicht leicht zu treffen, aber es gibt schlimmere Schicksale.
    Durchatmen und zur Ruhe kommen. Ein bisschen Zeit für sich haben. Kostbar ist das und sehr, sehr selten. Und was macht sie mit dieser Zeit für sich allein – sie sitzt an ihren Mails! Rebecca und Miriam, die beiden fünfjährigen Zwillingstöchter, schlafen bereits. Clara hat ihnen eine Gutenachtgeschichte vorgelesen, mit ihnen gebetet und gekuschelt, den Kuchen für das Sommerfest im Kindergarten morgen Nachmittag hat Clara auch schon gebacken. Es könnte ein schöner Abend werden, wenn dieser Papierkram endlich erledigt wäre. Schluss. Schluss für heute.
    Clara hat gerade den Film eingelegt, und Robert Redford beginnt zielsicher seinen verknitterten Charme auszuspielen – sie hat sich doch für den Pferdeflüsterer entschieden. Allmählich lässt sich der Filmheld darauf ein, mit dem nach einem Unfall verschreckten Pferd und dem Mädchen, das es geritten hat, zu arbeiten. Er drängt niemanden, er wartet, bis die anderen so weit sind. Er lässt kommen und gewährt die Zeit, die nötig ist. Was für ein Mann! Robert Redford lächelt nur und schaut, und sein Blick sagt: Ich weiß, dass du weißt, dass ich weiß, und trotzdem haben wir alle Zeit der Welt und müssen uns zu nichts gezwungen fühlen. Wir haben keine Eile – da klingelt das Telefon.
    »Dorothee hier, störe ich?«
    Natürlich stört sie, Dorothee stört immer. Andererseits ist sie eine treue Seele, und sie hat ja sonst niemanden, bei dem sie anrufen kann.
    »Nein, du weißt doch, dass du jederzeit anrufen kannst«, sagt Clara, und sie fragt sich, ob Dorothee an ihrer leicht erhöhten Tonlage merkt, dass sie schwindelt.
    »Es ist wegen des Festes.«
    Pause, Pause, Pause.
    Dorothee wartet offensichtlich darauf, dass Clara sofort nachfragt, sobald das Stichwort Fest fällt. Clara ist aber viel zu müde, um neugierig zu reagieren. Und nur weil Clara und ihr Mann ihren zehnten Hochzeitstag ein bisschen aufwendiger feiern wollen, muss sie ja nicht gleich in Ekstase geraten, wenn Dorothee über das Fest sprechen will. Dorothee ist mit der Planung des Festes betraut worden, ein Fehler. Sie soll eigentlich die Sketche, Vorführungen und sonstigen Beiträge der Freunde und Bekannten koordinieren. Aber dieses Amt nimmt sie furchtbar ernst, und die Gästekoordination hat sie auch noch übernommen.
    »Also ich verrate dir jetzt nicht, was wir schon alles vorbereitet haben«, sagt Dorothee und legt wieder eine bedeutungsschwere Pause ein. »Ihr werdet
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