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Betrügen lernen

Betrügen lernen

Titel: Betrügen lernen
Autoren: W Bartens
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Nähe spüren, klar, aber es muss nicht immer Sex sein. Einfach mal am Nacken gestreichelt werden, ohne weitere Verwicklungen. Auch geistige Nähe und Vertrautheit können unglaublich stimulie rend sein, und das muss überhaupt nichts mit Erotik zu tun haben.
    Für ihn ist es nicht nur – aber auch – eine Frage der Quantität und vor allem der Regelmäßigkeit. Für sie ist hingegen vor allem die Qualität entscheidend.
    Als beide noch kinderlos waren, hat Alex mal eine Harald-Schmidt-Sendung gesehen, in der Dirty Harry über Paare mit Kindern lästerte. Seine Gagschreiber hatten ihm einen Witz vorgefertigt, den Alex damals noch nicht kapierte, jetzt aber umso besser versteht. »Sex nach der Geburt, das normalisiert sich wieder«, sagte Harald Schmidt damals. »So etwa nach vier (Pause, Pause, Pause) – so etwa nach vier Jahren.« Heute wäre Alex sogar froh, wenn es fünf Jahre nach der Geburt von Miriam und Rebecca im Bett wieder normal laufen würde.
    Einig sind sich Alex und Clara beim Thema Sex eigent lich nur darüber, dass in den Lifestylemagazinen, die sie gelegentlich kaufen, um sich ihrer Gerade-noch-Jugendhaftigkeit zu versichern, nicht so viel über Sex in der Schwangerschaft geschrieben werden sollte. Und auch nicht so viel über Sex in der ersten Zeit nach der Schwangerschaft, beispielsweise während sie noch stillt. Immer wieder protzen diese Hefte mit Enthüllungen darüber, dass auch nach der Geburt der Kinder das Liebesleben prickelnd und aufregend wie am ersten Tag sein kann. Das sei Quatsch, finden Alex und Clara, aber die Sehnsucht danach war offenbar ein unstillbarer Kaufanreiz.
    Alex und Clara mögen sich immer noch, das schon, aber nach fast zehn Jahren ist ihre Ehe langsam verwittert. Das Feuer füreinander ist ein wenig erloschen. Manchmal ist nicht mal mehr Glut da, nur noch kalte Asche. Dabei mag er sie offenbar sehr. Er glaubt sogar, dass er sie liebt. Sie glaubt das auch, aber die Routine, in der ihre Beziehung erstarrt ist, lässt sie verzweifeln und sich voneinander abwenden. Und ohne diese innere Leidenschaft will sie nun mal nicht mit ihm ins Bett gehen.
    Er denkt hingegen: Diese Leidenschaft ergibt sich schon. Appetit kommt beim Essen. Ihr kommt das Kotzen bei dem Gedanken, dass er will, sie aber nicht, und dass sie es trotzdem ihm zuliebe über sich ergehen lassen würde.
    Früher haben Mädchen rote Balken in ihre Kalender gemalt, wenn sie ihre Tage hatten oder sie erwarteten. Alex hat lange Jahre in seinem Computer einen Kalender geführt, in den er eintrug, wenn er rudern ging, Tennis spielte oder anderweitig Sport trieb. Jetzt hat er so einen aufwendigen Business-Timer, dick wie die Bibel und mit tausend Extrafunktionen, die er alle nicht versteht und nicht braucht. Er schreibt gar nichts rein, weil er sich seine wenigen Termine für Vorträge und Reisen auch so merken kann.
    Aber manchmal steht doch etwas drin. Er hat angefangen, sich zu notieren, wann er und Clara Sex hatten . So verwegen, es aufzuschreiben, wann er es erhofft , ist er noch nicht. Erst hat er rote Striche gemacht, aber das sind ja nicht seine Tage, über die er hier Buch führt. Inzwischen verwendet er einen Kugelschreiber, aber er ist immer noch unschlüssig, welche die richtige Farbe für die Einträge ist, die er alle zwei Monate in seinen Kalender macht.
    Vielleicht liegt es einfach an Claras Beruf. »Schwänze, Schwänze, Schwänze, ich kann keine Schwänze mehr sehen«, sagt sie immer wieder entnervt. Sie ist Urologin. Da sieht sie jeden Tag Männer und ihre Leiden mit ihrem besten Stück: Impotenz, Angst vor Schmerzen beim Pieseln und vor allem Erektionsstörungen: Es klappt zu wenig, zu selten, gar nicht mehr, nicht dauerhaft genug, und ganz gelegentlich gibt es auch mal Männer mit zu langen Erektionen. Alles hat sie schon gesehen, sogar diese wirklich seltenen Bindegewebsveränderungen mit Schiefstand.
    Immer ist die drohende Erschlaffung untenrum das Schlimmste, was den Männern passieren kann. Schlaganfall, Herzinfarkt, Bandscheibenvorfall, Burn-out, ja manchmal sogar Krebs stecken sie irgendwie schon weg – aber wenn sie eine Erektionsstörung haben, droht gleich der Weltuntergang. Männer scheinen ihre Existenzberechtigung vor allem darin zu sehen, einen hochzukriegen, vermutet Clara mittlerweile. Dabei gibt es doch noch andere Ziele im Leben, und zumeist liegen die Gründe auch viel tiefer, wenn es im Bett nicht klappt.
    Kürzlich war Clara auf einer Tagung der Urologen in Bad Boll. Ihr
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