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Betrügen lernen

Betrügen lernen

Titel: Betrügen lernen
Autoren: W Bartens
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verzieht sich zum Glück schnell wieder. Mir geht das Ungleichgewicht mit der Reproduktion durch den Kopf. Da ist was dran. Ich will tänzelnd leicht wirken, unbeschwert und lässig. Schwebend.
    Mir tun nur leider die Füße weh. Besonders der kleine Zeh rechts drückt, das ist der mit dem Hühnerauge, an dem eigentlich kein Hühnerauge mehr drücken sollte. Die Schuhe sind zwar sehr elegant und außerdem doppelt genäht, aber eigentlich zu eng für meinen breiten Spann. Wie hatte ich mir diese superteuren englischen Treter gewünscht, deren Seehundleder zuvor in langen Polarnächten von Eskimofrauen weich gekaut worden ist. Die Schuhe sind nicht zu klein, darauf bestehe ich. Schließlich habe ich im Geschäft von der Verkäuferin den Großzehentest machen lassen. Im Stehen hatten die Zehen noch genügend Platz vorn. Aber die Schuhe sind trotzdem eindeutig zu eng.
    Vielleicht habe ich auch Wasser in den Beinen? Meine Füße holen mich auf den Boden der Realität zurück.
    Plötzlich gebe ich mir keine Mühe mehr, besonders originell, verführerisch, verwegen oder auch nur melancholisch verloren und rettungsbedürftig zu wirken. Das zieht ja bei manchen Frauen, so eine Art James Dean für Arme mit diesem traurigen Blick aus hungrigen Augen, so kühl und cool und neorauchig wie Carl, mein Kollege aus der Gerichtsmedizin, der nicht nur beruflich zum Morbiden neigt. Er sieht immer so aus, dass man ihm sofort einen Rettungsring zuwerfen oder etwas Essbares zustecken möchte.
    Ich bin erschöpft und gleichgültig und fühle mich wie Marcello Mastroianni in der Verfilmung von Albert Camus’ Der Fremde . Dem Filmhelden ist alles so was von egal, dass er sogar jemanden umbringt, weil der ihn zu sehr nervt. Ich versuche daher auch gar nicht mehr, einen Schlüsselreiz bei ihr auszulösen, der uns beide hätte ausbrechen lassen können aus dem bürgerlichen Gehäuse unserer Konventionen.
    Ich berühre sie ganz, ganz beiläufig am Arm, während ich dem Ausgang zustrebe. In Frauenzeitschriften steht, dass so etwas bei Frauen einen wohligen Schauer und sogar Gänsehaut auslöst. Ich streife sie noch mal ganz leicht und wie zufällig am Unterarm. Ein bisschen Hoffnung ist da noch, dass sie doch mitkommen könnte.
    Nichts. Keine Reaktion. Und ich denke bei mir: Wer lässt sich schon vom schweren Duft der Resignation verführen? Ungeduscht, geduzt und ausgebuht fahre ich nach Hause. Das stimmt zwar nicht, und dieser letzte Satz ist auch weitgehend von Max Goldt, aber es ist nun mal arschkalt, und ich komme mir inwendig ungewaschen vor, als ich durch die Nacht zum Hotel stapfe.
    Ich bin schon längst nicht mehr der Partylöwe, der ich auch früher nie gewesen war. Ich habe auch keine Lust auf schnellen Sex nach Besuchen in zugigen Clubkel lern, in denen ein paar Bierkisten die einzige Möblierung darstellen und eher als Statement denn als Sitzgelegenheit zu verstehen sind. Das endet nur mit einer Blasenentzündung. Mir ist auch nicht nach gepiercten Lippen und nicht nach Intimrasuren. Diese genitalen Brötchen finde ich abstoßend. Mir ist nicht nach schnellen Nummern und nicht nach ebenso aussichtslosem wie abgeklärtem Hauptstadt-Blues. Ich will keine jungen Dinger aufreißen, die ewig frieren und sich trotzdem immer zu dünn anziehen und später irgendwas mit Medien machen wollen.
    Ich bin keine 20 mehr, und weder Charlotte Roches Intimliteratur noch dieses zu Recht in der Versenkung verschwundene Buch über den geklonten nachtaktiven mexikanischen Schwanzlurch, der nicht erwachsen werden kann, treffen meine Stimmung. Das Bild von dem Schwanzlurch ist ja ganz hübsch, aber muss es immer dieses desillusioniert Düstere sein, dieses weltenschwer und früh Vergreiste? Muss man immer in inniger Zuneigung aneinander verzweifeln? Dieses Unbehauste ist mir zuwider. Ich mag lieber kuscheln. Ich weiß auch genau, mit wem. Ich will nur etwas von Clara, meiner Frau.

Ständig auf Rot
    Mit der Ehe von Alex und Clara ist das so: Die beiden sind nur noch selten miteinander intim. So würde er das bezeichnen, wobei er nicht oft darüber redet. Ihm ist das viel zu wenig, er fühlt sich permanent auf Entzug. Dabei will er gar nicht täglich. Einmal in der Woche, manchmal vielleicht zweimal, das würde ihm ja schon reichen.
    Sie haben ausreichend Sex, wäre hingegen ihre Einschätzung. Jedenfalls so, wie sie Sex haben. Ihr sind andere Dinge viel wichtiger. Gemeinsame Interessen und Pläne. Unternehmungen, die sie zusammen machen. Zärtlichkeit und
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