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Das Feenorakel

Titel: Das Feenorakel
Autoren: Jeanine Krock
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Kapitel 1
    Alvas Blick glitt über das Bücherregal und die kahlen Wände. Früher hatten hier zahllose Poster gehangen, damit war es aber schon lange vorbei. Rot hatte sie alles gestrichen. Ganz allein.
    Der Job in den letzten Sommerferien hatte zudem genug Geld eingebracht, um sich einen dunkelgrauen Veloursteppich leisten zu können und die passende Lackfarbe, die Möbel, Heizung und sogar die Zimmertür seither schwarz glänzen ließ. Das Vorhaben, alle ihre Bücher in granatapfelfarbenes Papier einzuschlagen, hatte sie allerdings aufgegeben, nachdem sie dreieinhalb Regalreihen ordentlich verpackt hatte. Rot, so stellte sie schließlich fest, war nicht die Farbe ihres Herzens. Im Grunde hatte sie eine Schwäche für alles Grüne, aber nun wieder alles zu ändern, dazu konnte sie sich nicht aufraffen.
    Natürlich war ihr Zimmer viel zu dunkel, selbst bei Sonnenschein hatte jeder, der hereinkam, den starken Impuls das Zwielicht mindestens mithilfe der Deckenbeleuchtung zu erhellen. Auch Alva. Und das, obwohl sie sich oft nach Dunkelheit sehnte.
    Weiße Träume hatte sie den Spuk genannt, der aus dem Nichts kam, ihrer Erinnerung nach dem Aufwachen sofort entglitt und doch eine nebulöse Furcht und die Sehnsucht nach kühler Dunkelheit hinterließ. Diese Träume waren nicht düster, es verfolgten sie keine finsteren Gestalten, die ihr, eine Kapuze tief ins Gesicht gezogen, nach Leib und Seele trachteten. Sie leuchteten. Grelles Licht bohrte sich wie fehlgeleitete Laserstrahlen in ihre angstvoll geweiteten Pupillen, bis sie zitternd erwachte, die Finger zu Klauen gebogen, bereit, sich die Augen auszukratzen. Und hinter dem Licht wartete jemand. Unsichtbar und doch nicht zu übersehen. Jemand, der mit grausamer Hand den Scheinwerfer führte, ihr überallhin folgte, sie nicht aus dem Lichtkegel entließ. Was willst du? , hätte Alva jedes Mal schreien mögen. Doch ihre Stimme, das wusste sie instinktiv, würde eine Katastrophe auslösen.
    Natürlich hatte das selbst geschaffene Zwielicht keinen Einfluss auf diese unheimlichen Gespinste aus Angst und Machtgehabe. Und merkwürdig genug verschwand die Erinnerung an das Grauen mit dem Erwachen. Löste sich auf, bis sie nicht einmal mehr zu sagen wusste, woher die dunklen Ringe unter ihren Augen kamen.
    Organisch fehlte ihr nichts. Ihre Adoptiveltern waren besorgt und hatten schließlich darauf gedrängt, dass sie sich untersuchen ließ. Sogar zu einem Termin bei einer Psychologin hatten sie Alva überredet, wo sie die vermutlich peinlichste Stunde ihres Lebens verbringen musste.
    Obwohl sie es ihnen nicht verdenken konnte, dass sie alles versuchten, um ihr zu helfen, zog sie sich verletzt in ihr chinesisches Lackkästchen zurück, wie ihre Freundinnen ihr Zimmer nannten.
    Anerkennung schwang bei diesen Worten mit und auch ein bisschen Neid, dass Alva stets genau das zu bekommen schien, was sie wollte.
    Als wären alle Leute irgendwie verzaubert, wenn du nur den Mund aufmachst! , beklagten sie sich und nicht immer war dies nur eine freundschaftlich gemeinte Kritik. Was aber niemanden davon abhielt, sich ihrer Talente zu bedienen, sobald es Vorteile versprach. Als Klassensprecherin beispielsweise sollte sie sich für ihre Mitschüler einsetzen, oder wenn es darum ging, für einen gemeinsamen Partybesuch ein paar Stunden mehr herauszuschlagen, als die Eltern ihrer Freundinnen ursprünglich vorgesehen hatten. Alva ließ sich meistens dazu überreden, obwohl es ihr kaum jemand dankte. Im Gegenteil, die unsichtbare Kluft zwischen ihr und den anderen wurde dadurch womöglich noch tiefer und nicht bloß einmal war hinter ihrem Rücken das Wort Freak gefallen.
    Sie massierte sich mit den Fingerspitzen den Nasenrücken und blies eine rabenschwarze Haarsträhne aus dem Gesicht ... die war ganz weich und roch noch nach der neuen Haarfarbe mit dem bezeichnenden Namen Midnight . Natürlich stimmte es nicht, wenn andere behaupteten, dass sie jeden um den kleinen Finger wickeln konnte. Ihr Leben war eine einzige Plackerei und ständig musste sie sich mit unsinnigen Regeln herumquälen, die nur dazu gemacht worden schienen, ihr die Laune zu verderben. Letztlich war die Neugestaltung ihres Zimmers ein Versuch gewesen, glücklicher zu werden. Die Farbwahl trug indes nicht dazu bei, Alvas Laune aufzuhellen. Jedoch war es wohl Blödsinn, die Leere, die sich in ihrem Inneren ausbreitete, einem gestalterischen Fehlgriff anzulasten.
    Sie hatte versucht, mit ihrem Vater zu sprechen. Doch der wollte
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