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Bator, Joanna

Bator, Joanna

Titel: Bator, Joanna
Autoren: Sandberg
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trug Jadzia den rechten Unterarm leicht angewinkelt und an die Seite
gedrückt und stützte ihn mit der gesunden Hand. Sie drückte den kranken Arm
unter ihre schwere Brust, dort passte er hinein wie in ein warmes Nest. Ein
Attest erklärte sie arbeitsunfähig in ihrem Beruf, und so war sie wieder da
angekommen, wo sie angefangen hatte, nur um den zerschnittenen Mantel, eine
verhältnismäßig fertige Zukunft und ihre Handtasche ärmer, denn diese war in
dem Durcheinander auch irgendwie abhandengekommen. Ein halbes Jahr später
heiratete Doktor Malczyk die neue Krankenschwester, Gabrysia mit den blauen
Augenlidern, die beiden saßen in der Kirche immer ganz vorn, obwohl sie knapp
sieben Monate nach der Hochzeit schon was Kleines hatten. Die Malczyk trug
Dauerwelle und goldene Ohrringe; auf den ersten Blick war ihr nicht anzusehen,
dass sie das Leben lebte, das sich Jadzia Maslak für sich selbst ausgemalt
hatte. Jadzia wurde immer dicker und schwerer und watschelte zum Dorfladen, um
gefüllte Bonbons zu kaufen, die sie lutschte, bis ihre Zunge blutete. Sie
spuckte süßen bräunlichen Speichel aus und dachte an Schwindsucht, daran waren
im letzten Frühjahr zwei Mädchen aus Zalesie gestorben, sie hatten Stück für
Stück ihre Lungen ausgewürgt. Ob mir jemand nachweinen würde? fragte sie sich.
Im Frühjahr lag sie im hohen Gras an der Pelcznica, wo man vor vielen Jahren
ihren Vater gefunden hatte. Sie schloss die Augen, hielt das Gesicht in die
rieselnden Blütenblätter der wilden Apfelbäume und stellte sich vor, sie stürbe
- wie die Heiligen, deren Leichen noch Jahre, nachdem man sie begraben hat,
nach Blumen dufteten, nach Veilchen und Maiglöckchen.
    Der Brief von Onkel Kazimierz
Maslak kam kurz vor Weihnachten, sehr zu Zofias Überraschung. Sie hatte schon
lange keinen Brief mehr bekommen, und den Verwandten, der gleich nach dem
Krieg in die wiedergewonnenen Gebiete gezogen war, hatte sie seit über zehn
Jahren nicht mehr gesehen. Kazimierz war ein Vetter ihres Mannes Maciek aus
Brzezina, wo jeder zweite Maslak oder Strak hieß. Zofia hatte ihn nie gemocht
und vermutete, dass in den Gerüchten über seine Geschäfte mit den Deutschen
während des Krieges ein Körnchen Wahrheit steckte. Der Kazimierz hat immer
gewusst, wo die Ratten den Speck haben, sagte Jadwiga Strak, die Müllerin von
Brzezina, deren Namen Jadzia bekommen hatte, eine Expertin für geflügelte
Worte, einen ganzen Vorrat an Sprichwörtern und Sprüchen, deren Sinn allein
sie verstand. Onkel Kazimierz schickte Zofia und Jadzia gelegentlich Postkarten,
auf denen die deutsche Aufschrift Waldenburg anfangs nur knapp von dem
violetten Stempel Waibrzych überdeckt wurde und später ganz verschwand. Der
Onkel erstattete kurzen Bericht von seinen Erfolgen. Zofia antwortete ihrem
Verwandten ebenso lakonisch mit Informationen über die Misserfolge ihres
Lebens und in diesem Zusammenhang auch über Jadzias Unfall. Jadzia solle nach
Waibrzych kommen, schrieb Kazimierz in dem Brief, den Zofia mehrmals durchlas,
denn, ob sie ihn mochte oder nicht, Kazimierz Maslak war ihr einziger lebender
Verwandter. Er versprach Jadzia eine Arbeit im Büro. Vielleicht könne sie sogar
Sekretärin bei einem Direktor werden. Sie würde ihm Kaffee aufbrühen, den
Gästen bulgarischen Cognac kredenzen und hätte im Handumdrehen alles gelernt,
was wichtig war. Die eine gute Hand würde dafür mehr als ausreichen, erst
recht, wenn sie obendrein noch ein hübsches Frätzchen zu bieten hatte.
Kazimierz Maslak schrieb auch, in Waibrzych gebe es wirklich jede Menge
Nationalitäten, weder an Zigeunern noch an anderem Gesindel mangele es, und die
Juden schalteten und walteten wie vor dem Krieg, man könne sich nur wundern,
wieso sie immer noch so viele waren, doch die Stadt sei reich, sie sitze ja
schließlich auf den Bergwerken. Schwarzes Gold, so nenne man die Kohle hier.
Auch unter der Hand lasse sich einiges verdienen, die Russen aus den Kasernen,
die Deutschen, die Zigeuner, alles handle mit allem, was sich biete. Da lerne
man umtriebig zu sein und das Beste herauszuholen. Dafür habe er offenbar ein
Händchen! Kalte Kost und Logis könne er anbieten, schrieb Onkel Kazimierz. Zu
Mittag könne Jadzia billig in der Werkskantine essen, wo es außer montags und
freitags immer was mit Fleisch gab. Jadzia solle ihren Koffer packen, gleich
nach Neujahr würde er Geld für die Fahrkarte schicken. Jadzia würde Geld
verdienen und es ihm dann zurückgeben. In Walbrzych Stadt solle sie
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