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Die Insel der besonderen Kinder

Die Insel der besonderen Kinder

Titel: Die Insel der besonderen Kinder
Autoren: Ransom Riggs
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    Prolog
    G erade als ich mich an den Gedanken zu gewöhnen begann, dass dieses Leben keine großen Abenteuer für mich bereithalten würde, geschah etwas Seltsames. Es war das erste einer Reihe von Ereignissen, und es versetzte mir einen furchtbaren Schock. So wie alles, was einen für immer verändert, teilte es mein Leben in zwei Hälften: vorher und nachher. Und wie bei so vielen der außergewöhnlichen Dinge, die sich noch ereignen würden, war mein Großvater, Abraham Portman, darin verwickelt.
    Während meiner Kindheit war Grandpa Portman der faszinierendste Mensch, den ich kannte. Er hatte lange Jahre im Waisenhaus gelebt, in Kriegen gekämpft, mit dem Dampfer die Meere bereist und zu Pferde die Wüsten durchquert, war im Zirkus aufgetreten, wusste alles über Waffen, über Selbstverteidigung, das Überleben in der Wildnis, und er sprach außer Englisch mindestens drei weitere Sprachen. Für ein Kind, das niemals aus Florida hinausgekommen war, klang das unglaublich exotisch. Jedes Mal, wenn ich meinen Großvater sah, bekniete ich ihn, mich mit neuen Geschichten zu füttern. Er tat mir stets den Gefallen und erzählte mir von seinen Erlebnissen, als wären es Geheimnisse, die er nur mir anvertrauen konnte.
    Im Alter von sechs Jahren kam ich zu der Erkenntnis, dass meine einzige Chance auf ein nur halb so aufregendes Leben, wie es das meines Großvaters gewesen war, darin bestand, Entdecker zu werden. Er bestärkte mich darin, indem wir ganze Nachmittage gemeinsam über Weltkarten brüteten, mit roten Reißzwecken die Routen unserer erdachten Expeditionen festlegten und er mir von den fantastischen Orten erzählte, die ich eines Tages entdecken würde. Zu Hause tat ich meine ehrgeizigen Ziele kund, indem ich mit einer Pappröhre vor dem Auge herummarschierte und rief »Land in Sicht!« oder »Bereitmachen zur Landung!«, bis mich meine Eltern nach draußen scheuchten. Offenbar befürchteten sie, dass mich Großvater mit seiner unheilbaren Verträumtheit anstecken könnte und dass mich meine Fantasien gegenüber nützlichen Ambitionen immunisierten. Also nahm mich meine Mutter eines Tages beiseite und erklärte mir, dass ich kein Entdecker werden könne, weil bereits alles auf der Welt entdeckt worden sei. Das machte mich im ersten Moment traurig und dann wütend. Ich war im falschen Jahrhundert geboren worden und fühlte mich betrogen.
    Aber wie verraten kam ich mir erst vor, als ich herausfand, dass viele von Grandpa Portmans Geschichten unmöglich wahr sein konnten! Seine aufregendsten Erlebnisse drehten sich um seine Kindheit. Er war in Polen zur Welt gekommen und im Alter von zwölf Jahren in ein Waisenhaus nach Wales geschickt worden. Ich fragte ihn unzählige Male, warum er seine Eltern verlassen musste, und seine Antwort lautete immer gleich: weil die Monster hinter ihm her waren. Polen sei durch sie vollkommen verrottet gewesen, sagte er.
    »Was für Monster?«, fragte ich dann mit großen Augen. Dieses Frage-und-Antwort-Spiel wurde für uns zur lieben Gewohnheit. »Schrecklich aussehende, bucklige Wesen mit faulender Haut und schwarzen Augen«, antwortete er stets. »Und soll ich dir mal zeigen, wie sie gingen?« Daraufhin kam er auf mich zugeschlurft wie diese Monster in alten Filmen, bis ich lachend fortlief.
    Jedes Mal, wenn er die Kreaturen beschrieb, fügte er ein neues grässliches Detail hinzu: Sie stanken wie fauliger Abfall, sie waren unsichtbar bis auf ihre Schatten, in ihren Mündern lauerten schlangenartige Tentakel, die herausschnellen und einen zwischen die starken Kiefer ziehen konnten.
    Es dauerte nicht lange, und ich konnte abends vor Angst kaum noch einschlafen. Meine ausgeprägte Fantasie verwandelte das Zischen der Autoreifen auf dem nassen Asphalt draußen in ein schweres Keuchen und die Schatten unter der Tür in kriechende, grauschwarze Tentakel. Ich fürchtete mich vor den Monstern, stellte mir jedoch mit Begeisterung vor, wie mein Großvater sie besiegte und den Kampf überlebte, um mir davon erzählen zu können.
    Noch fantastischer waren seine Erzählungen über das Leben in dem walisischen Waisenhaus. Er sagte, es sei ein verzauberter Ort gewesen, an dem die Kinder vor den Monstern sicher waren. Das Haus befand sich auf einer Insel, wo jeden Tag die Sonne schien und nie jemand krank wurde oder starb. Alle lebten zusammen in einem großen Haus, das von einem klugen, alten Vogel beschützt wurde – oder so ähnlich. Als ich älter wurde, kamen mir Zweifel.
    »Was für
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