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Bator, Joanna

Bator, Joanna

Titel: Bator, Joanna
Autoren: Sandberg
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Kinder im Zug in die Hölle fahren. Tateram-taram! machte
sie das Geräusch des Zuges nach; tateram-taram! Züge voll mit schmutzigen
Kindern, tateram-taram durch die zu einem Rohr zusammengelegten Hände. Zofias
Teufel stanken nach verbranntem Fleisch und hatten wulstige Lippen, die immer
feucht waren. Wulstig wie bei den schwarzen Negern, tateram-taram!, so machte
sie Jadzia Angst und wogte dann auf ihren breiten Hüften in einen anderen Teil
des Hauses, schlug dabei Wellen, auf denen die Möbel und Heiligenbilder noch
eine Weile schaukelten. Sie konnte nie lange bei ihrer Tochter vor Anker
gehen, gleich zog es sie wieder in die Speisekammer, in den Garten, in den
Wald, um Zündholz zu sammeln. Du Schmutzfink, du Sudeltrine - sie rang die
Hände: Die Teufel werden dich im Zug in die Hölle fahren. Am Fenster huschte
nachts der Schatten des Schnellzugs vorbei, und Jadzia stellte sich die Kinder
vor, die in die Waggons gestopft waren wie in die leere Salmiakpastillendose,
in die sie im Sommer die gesammelten Kartoffelkäfer steckte, um dann den Deckel
wieder draufzusetzen. Im Finstern verendeten die Käfer und sonderten einen
dunklen Saft ab, auf dessen Oberfläche die gestreiften Flügelchen schwammen.
Wenn Jadzia in die Dose guckte, wurde ihr vor Ekel schlecht.
    Als junges Mädchen wartete Jadzia
täglich im Morgengrauen an der Bahnstation Zalesie auf den Personenzug nach
Skierniewice, wo sie Krankenschwester lernte. Das Spritzensetzen gefiel ihr,
das saubere und fachmännische Hineinstechen in blaue Adern, das Tragen weißer
Schürzen und das Betrachten von Bakterien unter dem Mikroskop. In ihrem
wimmelnden wuchernden Dasein fand sie die Rechtfertigung für den Essig, ihrer
Mutter bevorzugtes Mittel zur Körperhygiene, mit dem sie getränkt war wie der
gut zubereitete Aspik um ein Schweinefüßchen. Man muss die Bakterien
totkriegen! Bakterien sind Schmutz und Krankheit, sie sind sehr gefährlich,
deshalb muss das Essigwasser sehr heiß sein, das leuchtete ein. Unbeantwortet
blieb die Frage, woher Zofia, die nicht mehr als ein paar Klassen in der
Dorfschule absolviert hatte, über Bakterien Bescheid wusste, aber Jadzia
stellte nicht viele Fragen. Während sie auf den Zug nach Skierniewice wartete,
aß sie eins der drei Brötchen mit Erdbeermarmelade, die sie fürs zweite
Frühstück im Spital eingepackt hatte, und sog den öligen Geruch des
Gleiskörpers ein, schmeckte ihn wie ein Getränk. Sie leckte sich über den
kleinen, hübsch geformten Mund und konnte sich nicht entscheiden, ob sie den
Geruch mochte oder nicht. Als Kind war Jadzia schwächlich gewesen, doch dann
nahm sie zu wie ein rollender Schneeball; mit achtzehn Jahren füllte sie die
für ihre Größe vorgesehene Menge Haut gänzlich aus, schlank waren nur ihre
Waden und Unterarme geblieben. Nie stand sie ganz gerade, sondern immer so, als
drängte eine unsichtbare Kraft sie nach rechts oder als wiche sie einem Schlag
aus. Sie trug große Baumwollunterhosen, die Zofia ihr nähte, und frisierte sich
das mausfarbene Haar vor dem Spiegel im Flur, steckte es mit Spangen fest und
reckte sich mal hierhin, mal dorthin, um ihr entgleitendes Spiegelbild im
Blick zu behalten. Sie war nur aus einem bestimmten Winkel und bei Tageslicht
sichtbar. Schaute man Jadzia im hellen Sonnenlicht an, war ihr Umriss unscharf,
wabernd wie sonnenheißer Sand. Wer sie morgens auf der Straße grüßte, war sich
nachher oft nicht sicher, ob er tatsächlich Jadzia Maslak auf dem Weg zum
Bahnhof gesehen oder es sich nur eingebildet hatte. Nachts wurde Jadzia von
Kummer um etwas Namenloses ergriffen, den sie mit der vertrauten Lust auf
Süßigkeiten verwechselte, sie seufzte, holte ein Stück Zucker unter dem
Kopfkissen hervor und lutschte es, bis sie einschlief. Gehorsam befolgte sie
die Anweisungen ihrer Mutter, deren Reinlichkeitsobsession sich auf Sitzbäder
in Essigwasser beschränkte. In ihrem Haus klebten die Teller am Tisch fest,
die Fledermäuse quietschten nachts auf dem Dachboden, und Mäuse bauten ihre
Nester in den räudigen Kaninchenfellen, die in jeder Schublade lagen, doch nie
hätte Zofia das heiße Sitzbad mit Essig vergessen. Jeden Abend hockte Jadzia
sich nach der Mutter in die Metallschüssel, in der ihre immer ausladenderen
Gesäßbacken nur mit Mühe Platz fanden. Der Essig brannte, und manchmal war das
angenehm. Nach der Waschung steckte sie die Finger zwischen die Beine und
roch, ob der Gestank von Schmutz und Bakterien auch nicht durch die
Essigfrische
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