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Bator, Joanna

Bator, Joanna

Titel: Bator, Joanna
Autoren: Sandberg
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publik, geben
sich dem Gespött preis, als wären sie stolz auf ihren Spleen. Am Ende würde
dort noch jemand sie, Jadzia, darauf ansprechen: Na, Sie haben Ihre Tochter ja
vielleicht fein erzogen!, wie peinlich ihr das wäre! Peinlich, obwohl Jadzia
ja gar keine Fremdsprachen versteht. Stefan, der hatte einen Kopf für Sprachen,
und wenn er sich nicht so hätte verlottern lassen, dann hätte er
spräk-deutschen und parlehvuh-franzäsen können. Und sie weiß kaum noch was aus
ihrer Russischstunde, nur skolka, tawarischtsch Stalin und do svidania. Und
außerdem - was sollte sie dort essen? Oliven bestimmt nicht, die schmecken ja
irgendwie faul.
    Jadzia streicht Dominika die
schwarzen Haare zurecht, als wären es ihre eigenen. Du hast doch noch alles vor
dir! sagt sie. Jadzia radiert Dominikas dreiunddreißig Jahre aus. Sie bläst sie
weg wie Krümel vom Tisch. Jetzt ist nichts mehr hinter Dominika. Wenn sie einen
Schritt rückwärts macht, fällt sie in ein Loch. Doch Jadzia sagt, wenn alle
Stricke reißen, könne sie immer nach Piaskowa Göra kommen, auf jeden Fall.
     
    ***
     
    Unter dem Boden von Walbrzych ist
Kohle, und oben drauf Sand, und Menschen, die es aus der weiten Welt hierher,
an die Stelle der Vertriebenen verschlagen hat. In den einstmals deutschen
Häusern wandern die Bücher mit Frakturschrift zum Feuermachen in den Ofen. Der
Schneider, der nicht im geringsten einem polnischen krawiec gleicht, fliegt zum Fenster hinaus, das Wasser verwandelt
sich beim Kochen in woda. Durch die
Adolf-Hitler-Straße, die inzwischen Wladimir-Lenin-Straße heißt, drängen sich
die Fuhrwerke, werden Koffer geschleift, Kinder, Hunde und Greisinnen in
geblümten Kopftüchern weitergezerrt. Der erste Schub kommt gleich nach dem
Krieg und stinkt noch nach Pulverdampf. Hitler kaputt! schreien die Halbwüchsigen
den letzten Deutschen und denen, die so aussehen, entgegen. Andere Ausländer
stellen noch keine Bedrohung dar, weil vorläufig noch keiner hier zu Hause
ist. Man fängt erst an einzuteilen: wer Gold hat und wer keines, wer mit Gott
ist und wer gegen ihn, den einen und einzigen, der das auch bleiben soll. Die
Ankömmlinge werfen ihr Gepäck ab und hauen, eins, zwei, drei, Stöcke in die
Erde. Hier zimmern sie was aus Brettern, Pappe und Planen, dort stecken sie
sich ein Stück Land ab für Kartoffeln und Karotten, zäunen es mit Schnur ein
und nageln es zu, das ist jetzt ihres, und soll sich bloß keiner unterstehen.
Sie rüsten sich mit Knüppeln aus und mit Schimpfwörtern, wenn ihnen einer dumm
kommt, dann setzt es aber was!
    Die wiedergewonnenen Gebiete von
Walbrzych wecken vor allem in jenen Hoffnung, die nie was Eigenes gehabt
haben. Sie sind von nirgends her, aber sie wollen es zu etwas bringen, um von
woher zu sein. Zuerst nehmen sie die alten, ehemals deutschen Häuser in Besitz,
doch schon bald reichen die nicht mehr aus. Zwanzig Jahre nach dem Krieg
schließt sich um die alten Stadtteile von Walbrzych, die wohl jede »Ordnung«,
nicht jedoch einen gewissen Charme eingebüßt haben, ein Betonring neuer, in
aller Eile für die Neuankömmlinge errichteter Siedlungen. Auf dem Sandberg
werden an die Dreißigtausend Platz finden, alle schön in die einheitlichen
Fächer der Hausschachteln gestopft. Zu den Neuankömmlingen gehört auch Jadzia
Maslak. Sie hat stachelbeergrüne Augen, die von der langen Reise müde sind, einen
Pappkoffer, einen Korb mit Eiern vom Dorf und einen Mantel mit zweierlei
Ärmeln. In der Menge nimmt man sie kaum wahr, denn viele Frauen sehen so
ähnlich aus wie sie.
    Mit Jadzia Maslaks Augen
betrachtet ist Walbrzych eine große Stadt. Der Bahnhof, an dem sie angekommen
ist, heißt beispielsweise Stadtbahnhof, außerdem gibt es noch den Hauptbahnhof
und die Bahnhöfe Fabryczny und Szczawienko. Weder Jadzias Mutter, Zofia Maslak,
noch ihre Großmutter Jadwiga Strak haben was von der Welt gesehen, höchstens
sind sie mal in Skierniewice auf dem Markt oder auf Pilgerfahrt in
Tschenstochau gewesen, und Jadwiga wird auch mit Sicherheit nichts mehr von der
Welt sehen, denn sie liegt im gelben Sand begraben auf immer und ewig Amen. Von
Walbrzych haben sie nie etwas gehört, denn Walbrzych hat es bis vor kurzem
noch gar nicht gegeben, kein einziger Zug ist dorthin gefahren, aus Zalesie
jedenfalls ganz bestimmt nicht. Durch Zalesie donnern die Schnellzüge, und
bevor sich das Dorf noch in den Zugfenstern spiegeln kann, sind sie schon
vorbei.
    Jadzias Mutter sagte immer, die
Teufel würden unartige
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