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Bator, Joanna

Bator, Joanna

Titel: Bator, Joanna
Autoren: Sandberg
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drang.
    Dann, im Nachthemd, las Jadzia
Romane, langsam blätterte sie Seite für Seite mit dem speichelbefeuchteten
Finger um. Sie gierte nach Romanen, freute sich gleichermaßen an Glück und
Unglück, wie sie in Zalesie leider selten geschahen, doch glücklicherweise
bekam sie von Frau Gorgolowa, der Lehrerin, Bücher geliehen. Am liebsten mochte
Jadzia Die Aussätzige, wie
verzaubert las sie das Buch ein ums andere Mal beim Schein der Petroleumlampe,
sehr zu Zofias Verdruss. Morgens waren Jadzias stachelbeergrüne Augen müde und
sahen aus wie ein feucht gewordener Farbdruck. Manchmal stellte sie sich vor,
sie liege auf einer schönen Wiese und Oberarzt Michorowski bedecke sie mit
seinem Körper wie der Deckel einen mit Atlasseide ausgeschlagenen Sarg. Sie tat
nichts in diesen Träumen, der Oberarzt fuhr mit einem Auto, einer Karosse, vor
dem Krankenhaus in Skierniewice vor und nahm sie mit, auf eine Wiese oder ins
Ausland. Vielleicht in die schöne Sowjetunion, die sie in der Schule durchgenommen
hatten. Dort, wo Genosse Stalin herrschte, mit dem Mund, der süßer als
Himbeeren war, und wo es große, reißende Flüsse mit seltsamen Namen gab. Und
alle anderen im Traum sahen nur zu, wie der Oberarzt sie, Jadzia, erwählte. Wo
Gabrysia sich doch die Augen hellblau anmalte und Teresa mit ihren
hochhackigen Schuhen klapperte, aber die konnten zugucken, wie der
ausländische Oberarzt mit ihr und keiner anderen davonfuhr, und der Schleier
wehte auf dem Kopf von ihr und keiner anderen. Ach, Oberarzt, ich bin dein!
Nimm mich mit in die blaue Ferne, so träumte Jadzia.
    Das romantischste Ereignis in
Jadwigas Leben war der Besuch eines Unbekannten, eines Ausländers, der eines
Sommers in Zalesie auftauchte. Der junge Mann fuhr im Auto vor, und hinter ihm
stiegen Aschewolken auf, denn mit Asche waren die Löcher in der Dorfstraße zugeschüttet.
Er lüftete den Hut, Guten Tag die Damen, dürfte ich, rief er vom Weg vor der
Gartenpforte aus, dürfte ich vielleicht um ein Glas Wasser bitten? Aus heiterem
Himmel stand er da plötzlich an der Gartenpforte, ausgerechnet als sie gerade
nachlässig gekleidet unterm Nussbaum am Tisch saßen und Kirschen für die
Marmelade entsteinten. Die Kerne schossen in die Schale, Mutter und Tochter
waren bespritzt, ach, wenn sie sich doch wenigstens hätten zurechtmachen und
ein bisschen frisieren können, als der Fremde dort plötzlich um ein Glas
Wasser bat. Wie der angezogen war! erzählte Jadzia Dominika, wie aus einem
Journal, wie aus der Illustrierten ausgeschnitten, so kam er da einfach an, mit
Hut, an einem normalen Werktag, und bat um ein Glas Wasser, wo sie doch nur
Becher hatten. Der Ausländer redete, als sei ihm ein Kirschkern im Mund
steckengeblieben, und das eine oder andere, was er sagte, konnten sie nicht
verstehen, aber er benahm sich höflich und respektvoll. Er trank das Wasser, aß
zwei Handvoll Kirschen mit Zucker und wischte sich die Hände an einem
Taschentuch ab, das er aus der Jackentasche zog. Herr im Himmel, was für ein
Mann, der sich am Wochentag die Hände an so einem weißen Taschentuch abputzte!
Er war noch sehr jung, doch Jadzia kam er von Anfang an älter vor, und mit der
Zeit hängte sie ihm immer mehr Jahre an, wenn sie von ihm erzählte. Klar, wie
sollte er nicht älter sein als sie, so einer mit Jackett und Hut. Außerdem
musste ein Mann älter sein. Er erkundigte sich nach den Dahlien, wie man solche
großen rosaroten züchtete, und dann kam er plötzlich auf das Haus zu sprechen,
ob der Dachboden groß sei, und auf die Apfelbäume, ob sie trugen, ob sie
okuliert waren, und auf den Krieg, und alles so geschickt, dass sie sich
hinterher beim besten Willen nicht mehr darauf besinnen konnten, wie es zu
dieser Fragerei gekommen war und überhaupt, wie ein Fremder, der sich nicht
einmal mit Namen vorgestellt hatte, beim Kirschenessen an ihrem Tisch solche
Fragen stellen konnte. Zofia schaute in das Gesicht des Ausländers wie in einen
Brunnen, in den ihr etwas Kostbares hineingefallen war, doch statt blinkendem
Gold sah sie die glatte Wasseroberfläche und ihr eigenes verzerrtes
Spiegelbild. Enttäuscht wandte sie den Blick ab und warf weiter Kirschen in
den Entsteiner. Wenn Mama nur mal mit dem Entsteinen aufhören würde. Sie wird
ihm noch das blütenweiße Hemd und sein ausländisches Gesicht mit Kirschsaft bespritzen.
Spritz spritz - wie es einem geschrieben steht, so fällt der Stein ins Wasser.
Musste Zofia dem eleganten Fremden jetzt allen Ernstes mit
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