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Babettes Fest

Babettes Fest

Titel: Babettes Fest
Autoren: Tania Blixen
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einen Monat auf Besuch zu seiner Tante auf das alte Landhaus Fossum nicht weit von Berlevaag, wo er Zeit haben würde, nachzudenken und sich zu bessern. Eines Tages ritt er ins Städtchen und traf Martine auf dem Marktplatz. Er schaute hinunter auf das hübsche Mädchen; sie schaute auf zu dem schönen Reitersmann. Als sie vorüber war und seinen Augen entschwand, wußte er nicht, ob er seinen eigenen Augen trauen konnte.
In der Familie Löwenhjelm gab es eine Überlieferung, wonach vor langen Jahren ein Angehöriger des Hauses eine Huldre gefreit habe, einen weiblichen Berggeist aus Norwegen, der von solcher Schönheit war, daß die Luft um ihn herum glänzte und zitterte. Seit damals hatten immer wieder Mitglieder der Familie das zweite Gesicht besessen. Der junge Lorens war sich bisher nie einer besonderen spiritistischen Veranlagung bewußt gewesen. In diesem Augenblick aber stieg vor ihm plötzlich und machtvoll die Vision eines höheren und reineren Lebens auf, ohne Gläubiger, Zwangsvollstreckungen und elterliche Moralpauken, ohne unsympathische heimliche Gewissensnöte, und statt dessen mit einem sanften, goldhaarigen Schutzengel, der einen leiten und belohnen würde.
Durch seine fromme Tante erhielt er Zutritt zum Hause des Propstes und sah, daß Martine ohne Hütchen noch viel hübscher war. Er folgte ihrer schlanken Gestalt mit anbetenden Blicken; um so nichtswürdiger und verächtlicher schien ihm die Figur, die er selber in ihrer Nähe machte. Mit Verwunderung und Schrecken stellte er fest, daß er nichts zu sagen wußte und daß ihm auch aus dem vor ihm stehenden Glas Wasser keine Eingebung zustieg. «Gnade und Wahrheit, liebe Brüder, sind einander begegnet», sprach der Propst, «Rechttun und Seligwerden verschmelzen wie in einem Kuß.» Ach, den jungen Mann beschäftigte in seinen Gedanken einzig der Augenblick, da Lorens und Martine in einem Kuß verschmelzen würden. Er wiederholte seinen Besuch ein übers andere Mal, und jedesmal kam er sich dabei kleiner, unbedeutender und verächtlicher vor.
Abends, wenn er ins Haus der Tante zurückgekehrt war, schleuderte er die blankgewichsten Reitstiefel in die Zimmerecke; ja, es kam vor, daß er den Kopf auf den Tisch legte und zu weinen begann.
Am letzten Tag seines Aufenthalts machte er einen letzten Versuch, Martine seine Empfindungen mitzuteilen. Bisher war es ihm immer leichtgefallen, einem hübschen Mädchen zu sagen: Ich liebe dich – aber die zärtlichen Worte stockten ihm im Halse, als er dem Mädchen ins Gesicht sah. Als er sich bei der Gesellschaft verabschiedet hatte, begleitete ihn Martine mit einem Kerzenleuchter an die Haustür. Das Licht fiel voll auf ihren Mund und warf den Schatten ihrer langen Wimpern der Stirn entgegen. Schon im Begriff, in stummer Verzweiflung von dannen zu gehen, faßte er auf der Schwelle jählings ihre Hand und preßte sie an seine Lippen.
«Ich gehe für immer fort!» rief er. «Ich werde Sie nie, niemals wiedersehen! Das habe ich gelernt hier: daß das Schicksal hart ist; daß es Dinge gibt auf dieser Welt, die unmöglich sind!»
Als er wieder zu Hause in seiner Garnisonstadt war und sich sein Abenteuer überlegte, mußte er entdecken, daß ihm der Gedanke daran nicht angenehm war. Während die anderen jungen Offiziere von ihren Liebesgeschichten redeten, begrub er die seine in sich: Denn von der Offiziersmesse aus gesehen und sozusagen mit deren Augen war es ein ziemlich klägliches Abenteuer. Wie hatte es nur geschehen können, daß sich ein Husarenleutnant von einem Haufen dürrwangiger Sektierer, in den teppichlosen Zimmern eines Pfaffenhauses, aus dem Feld und in die Flucht hatte schlagen lassen?
Bei diesem Gedanken erschrak er tief und Panik überkam ihn. War es das alte Familienübel, das ihn wie einen Wahnsinnigen immer noch das traumhafte Bild eines Mädchens mit sich herumtragen ließ, das so schön war, daß es die Luft ringsum vor Reinheit und Heiligkeit glänzen machte? Er wollte kein Träumer sein; er wollte sein wie seine Offizierskameraden.
So riß er sich denn zusammen und beschloß mit einer Gewaltanstrengung, wie er sie in seinem jungen Leben noch nie aufgebracht hatte, daß er alles vergessen wollte, was ihm in Berlevaag geschehen war. Von nun an, beschloß er, würde er vorwärts blicken, nicht rückwärts. Er würde sich auf seine Karriere konzentrieren, und der Tag würde kommen, da er in einer glänzenden Umgebung eine glänzende Figur machen würde.
Seine Mutter war zufrieden mit dem
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