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Babettes Fest

Babettes Fest

Titel: Babettes Fest
Autoren: Tania Blixen
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kann nicht länger in Frankreich bleiben.
Ein Neffe von ihr ist Koch auf der Anna Colbjörnsson, die nach Kristiania fährt (meines Wissens die Hauptstadt von Norwegen); er hat seiner Tante die Überfahrt verschafft.
Ihr letzter trauriger Ausweg!
Da sie weiß, daß ich ehemals Ihr herrliches Land besucht habe, wendet sie sich an mich mit der Frage, ob in Norwegen gute Menschen wohnen, und mit der Bitte, ihr in diesem Fall einen Empfehlungsbrief mitzugeben. Die beiden Worte «gute Menschen» rufen mir alsbald Ihr Bild ins Gedächtnis, Ihr mir so teures Bild. Ich schicke sie zu Ihnen.
Wie sie von Kristiania nach Berlevaag kommen soll, weiß ich nicht, da mir die Landkarte von Norwegen nicht gegenwärtig ist. Es handelt sich aber um eine Französin, und Sie werden finden, daß ihr auch jetzt noch im Unglück erfinderischer Sinn, Menschlichkeit und wahre Seelengröße eigen sind.
Bei allem ihrem Kummer beneide ich sie: sie wird Ihnen ins Antlitz blicken. Indem Sie sie gnädig aufnehmen, schicken Sie, bitte, auch ein gnädiges Gedenken nach Frankreich.
Fünfzehn Jahre lang, Fräulein Philippa, habe ich mich gegrämt, daß Ihre Stimme nicht die Pariser Große Oper mit Wohlklang hat erfüllen dürfen. Wenn ich zu dieser nächtlichen Stunde Ihrer gedenke – zweifellos umgeben von einer zärtlichen, lebensfrohen Familie – und wenn ich mich selber ansehe: grau und einsam, und vergessen von denen, die mir einst Beifall und Verehrung darbrachten – , dann will mir scheinen, Sie haben den besseren Teil im Leben erwählt. Was ist schon Ruhm? Was ist schon öffentliches Ansehen? – Das Grab wartet auf uns alle.
Und doch, meine verlorene Zerline, und doch, Sie schneegeborener Sopran! – während ich dies schreibe, sagt mir ein Gefühl, daß das Grab nicht das Ende ist. Im Paradies werde ich Ihre Stimme wieder hören. Dort werden Sie singen, furchtlos und ungehemmt, so wie Gott es Ihnen bestimmt hat.
Dort werden Sie die große Künstlerin sein, als die Gott Sie schuf. Und ein Entzücken, ein Entzücken für die Engel.
Babette kann kochen.
Geruhen Sie, meine Damen, die tiefergebene Huldigung entgegenzunehmen eines Freundes aus uralter Zeit – Achille Papin.
Unten auf dem Briefblatt waren als ein Postskriptum säuberlich die beiden ersten Takte des Duetts zwischen Don Giovanni und Zerline abgemalt, so:

Die zwei Schwestern hatten bisher nur ein kleines fünfzehnjähriges Dienstmädchen zur Hilfe im Haus gehabt und mußten sich sagen, daß sie sich unmöglich eine ältere, erfahrene Wirtschafterin leisten könnten. Babette aber erklärte ihnen, bei den von Monsieur Papin empfohlenen guten Menschen diene sie umsonst; sie werde auch bei niemanden anderem in Dienst treten. Wenn sie sie wegschickten, müsse sie sterben.
So blieb also Babette im Haus der Propsttöchter, zwölf Jahre lang, bis zur Zeit dieser Geschichte.

5. Ruhiges Leben

Als Babette ankam, war sie abgehärmt und verschreckt wie ein gejagtes Wild; in der neuen, freundlichen Umgebung aber gewann sie bald das Aussehen einer bewährten, vertrauenswürdigen Bedienerin. Als Bettlerin schien sie einzuziehen; bald erwies sie sich als sieghafte Natur. Ihr stilles Antlitz, ihr unbeirrbarer, tiefer Blick hatten magnetische Gewalt; unter ihren Augen bewegten sich die Dinge, lautlos, an ihre Plätze.
Ihre Herrinnen hatten zuerst, so wie damals der Propst, ein wenig bei dem Gedanken gezittert, eine Papistin unter ihrem Dach aufzunehmen. Indessen wollten sie einem hartgeprüften Mitmenschen nicht gern mit Bibelunterricht beschwerlich fallen; abgesehen davon, daß sie ihres Französischen nicht so ganz sicher waren. Sie einigten sich stillschweigend darauf, das Vorbild eines gut lutherischen Lebens werde zur Bekehrung der Dienerin das beste Mittel sein. Babettes Gegenwart im Haus wurde auf diese Weise sozusagen zu einem moralischen Ansporn für die Bewohnerinnen.
Auf Monsieur Papins Behauptung, daß Babette kochen könne, hatten sie kein Zutrauen gesetzt. In Frankreich, das wußten sie, aßen die Leute Frösche. Sie zeigten Babette, wie man Stockfisch und Brotsuppe mit Bier zubereitet: während der Vorführung wurde das Gesicht der Französin völlig ausdruckslos.
Binnen einer Woche aber kochte Babette ihren Stockfisch und ihre Brotsuppe mit Bier so tadellos, als wäre sie in Berlevaag geboren und großgeworden.
Der Gedanke an überzüchtetes französisches Wohlleben war der nächste Punkt, der die Propsttöchter beunruhigte und schreckte.
Am ersten Tag nach Babettes Dienstantritt
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