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Babettes Fest

Babettes Fest

Titel: Babettes Fest
Autoren: Tania Blixen
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nahmen sie sie beiseite und setzten ihr auseinander, sie seien arme Leute und ein üppiger Küchenzettel wäre in ihrem Fall sündhaft. Was für sie gekocht würde, müsse von äußerster Einfachheit sein; nur auf die Suppennäpfe und Eßkörbe für ihre Armen sei allenfalls Sorgfalt zu verwenden. Babette nickte mit dem Kopf: als junges Mädchen, teilte sie den Damen mit, sei sie Köchin bei einem alten Geistlichen gewesen, einem Heiligen durch und durch. Die Schwestern beschlossen daraufhin, den französischen Gottesmann an Askese zu übertreffen. Und sie stellten fest, daß von dem Tage an, da Babette die Wirtschaftsführung übernahm, sich die Ausgaben auf wunderbare Weise verringerten und die Suppennäpfe und Eßkörbe eine neue, geheimnisvolle Kraft der Anregung und Stärkung für die Armen und Kranken erlangten.
Auch die Welt außerhalb des gelben Hauses mußte Babettes vorzügliche Eigenschaften zur Kenntnis nehmen. Die Ausländerin lernte zwar nie die Sprache ihrer neuen Heimat sprechen; doch drückte sie in ihrem gebrochenen Norwegisch noch den halsabschneiderischsten Handelsleuten von Berlevaag die Preise. Am Fischereihafen und auf dem Markt verbreitete sie Furcht und Schrecken.
Die alten Brüder und Schwestern, die anfangs mißtrauisch auf die ausländische Weibsperson in ihrer Mitte geblickt hatten, nahmen eine glückliche Veränderung im Leben ihrer kleinen Schwestern wahr, freuten sich dessen und hatten ihren Nutzen davon. Sie bemerkten, daß Mühen und Sorgen aus deren Dasein fortgezaubert waren und daß sie nun Geld fortgeben konnten und Zeit hatten für die Heimlichkeiten und Klagen ihrer alten Freunde und Frieden für besinnliche Beschäftigung mit himmelsnahen Dingen. Im Laufe der Zeit schloß so manches Mitglied der Gemeinde Babettes Namen in sein Gebet ein und dankte Gott für die stumme Fremde, diese dunkle Martha im Haus ihrer beiden blonden Marien. Der Stein, den die Baumeister beinahe verworfen hätten, war zu einem wichtigen Eckstein geworden. Die Damen vom gelben Haus waren die einzigen, die wußten, daß ihr Eckstein geheimnisvolle und beunruhigende Wesenszüge trug, als wäre er entfernt verwandt mit dem Schwarzen Stein von Mekka, der Kaaba selbst.
Babette sprach kaum jemals von ihrem früheren Leben. Wenn die Schwestern ihr in der Anfangszeit wegen ihrer Verluste freundlich Trost zusprechen wollten, war sie ihnen mit jener Menschlichkeit und wahren Seelengröße entgegengetreten, von der Monsieur Papin geschrieben hatte. «Was wollen Sie, meine Damen?» hatte sie geantwortet und mit den Achseln gezuckt, «es ist Schicksal.»
Eines Tages aber vertraute sie ihnen unvermutet an, daß sie schon seit Jahr und Tag in einer französischen Lotterie eine bestimmte Nummer spiele und daß ein treuer Freund in Paris jedes Jahr den Einsatz für sie erneuere.
Da könne sie einmal den Grand Prix, zehntausend Francs, gewinnen. Von da an hatten die Schwestern das Gefühl, daß die Reisetasche ihrer Köchin aus einem Stück Zauberteppich angefertigt sei; zu einem bestimmten Zeitpunkt mochte sie sich, wie in einen fliegenden Koffer, hineinsetzen und entschweben, zurück nach Paris.
Es konnte auch vorkommen, wenn Martine oder Philippa mit Babette sprachen, daß sie keine Antwort erhielten und sich fragen mußten, ob die Französin ihre Worte überhaupt gehört hatte. Oder sie fanden sie in der Küche, die Ellbogen auf dem Tisch, die Schläfen in die Hände gestützt, tief in die Lektüre eines schweren schwarzgebundenen Buchs versunken, von dem die Schwestern insgeheim argwöhnten, es müsse ein papistisches Gebetbuch sein. Zuweilen saß sie auch regungslos auf dem dreibeinigen Küchenstuhl, hatte die starken Hände in den Schoß gelegt und starrte aus weitoffenen dunklen Augen vor sich hin, rätselvoll und unheilschwanger wie eine Pythia auf dem Dreifuß.
In solchen Augenblicken merkten sie, daß Babette ein tiefes Wasser war und daß im Unauslotbaren ihres Wesens Leidenschaften, Erinnerungen und Wünsche verborgen lagen, von denen sie nicht das geringste ahnen konnten.
Ein kalter kleiner Schauder überrieselte sie, und in ihrem Herzen mußten sie denken: Ob sie nicht vielleicht doch eine Pétroleuse gewesen ist?

6. Babettes Glückstreffer

Der fünfzehnte Dezember war der hundertste Geburtstag des verstorbenen alten Propstes.
Die beiden Töchter hatten sich lange auf den Tag gefreut und wünschten, ihn festlich zu begehen, als weilte der liebe Vater noch unter seinen Jüngern. Aus diesem Grunde war es
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