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Babettes Fest

Babettes Fest

Titel: Babettes Fest
Autoren: Tania Blixen
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und höher steigen als je eine Diva der Vergangenheit und Gegenwart. Kaiser und Kaiserin, die kaiserliche Prinzessin, die großen Damen und Schöngeister von Paris würden sie hören und Tränen dabei vergießen.
Auch das einfache Volk würde sie anbeten, und den Entrechteten und Unterdrückten würde sie Trost und Kraft bringen. Wenn sie am Arm ihres Lehrers die Große Oper verließe, würde ihr die Menge die Pferde ausspannen und sie ins Café Anglais ziehen, wo ein prächtiges Souper ihrer harrte.
Philippa erzählte dem Vater und der Schwester nichts von diesen Zukunftsaussichten.
Es war das erste Mal in ihrem Leben, daß sie etwas vor den beiden geheimhielt.
Nun kam es zu dem, daß der Lehrer seiner Schülerin die Rolle der Zerline in Mozarts Don Giovanni zu studieren aufgab. Er selber, wie oft genug vorher, sang den Don Giovanni.
Nie im Leben hatte er so gesungen. In dem Duett im zweiten Akt – dem sogenannten Verführungsduett – brachte ihn die Himmelsmusik und der Zusammenklang der beiden Himmelsstimmen völlig aus der Fassung. Als die letzte Note dahinschmolz, faßte er Philippas Hand, zog die junge Frau an sich und küßte sie feierlich, wie ein Verlobter seine Braut am Altar küssen mochte. Dann ließ er sie gehen. Der Augenblick war zu erhaben für jedes weitere Wort, jede weitere Bewegung; Mozart selbst blickte auf sie beide herab.
Philippa ging nach Hause, sagte ihrem Vater, sie wünsche keine Gesangsstunden mehr zu nehmen, und bat ihn, er möchte das Monsieur Papin brieflich mitteilen.
«Und auch über Wasserflüsse läuft Gottes Weg, mein Kind», bemerkte der Propst.
Als Achille den Brief des Alten erhielt, saß er eine Stunde wie gelähmt. Er dachte: Ich habe mich geirrt. Mein Tag ist zu Ende. Nie wieder werde ich der göttliche Papin. Und die Welt, die elende Unkrautsteppe, hat ihre Nachtigall verloren.
Später dachte er: Was hat sie denn nur, die kleine Range? Ich habe sie wohl gar geküßt?
Und zum Schluß: Da hab ich mein Leben für einen Kuß verloren, und kann mich nicht einmal erinnern an den Kuß. Don Giovanni küßte Zerline, und Achille Papin muß dafür bezahlen. Das ist Künstlerlos!
Im Propsthaus bemerkte Martine, daß die Sache tiefer ging, und forschte im Gesicht der Schwester. Einen Augenblick, und der Gedanke machte sie zittern, hatte sie das Gefühl, der fremde Herr, der römisch-katholische, könnte versucht haben, Philippa zu küssen. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß ihre Schwester über etwas in ihrer eigenen Natur überrascht und erschrocken sein könnte.
Achille Papin verließ Berlevaag mit dem nächsten Boot.
Von diesem Gast aus der großen Welt sprachen die Schwestern nur wenig. Es fehlte ihnen an den richtigen Worten dazu.

4. Ein Brief aus Paris

Fünfzehn Jahre später, in einer regnerischen Juninacht des Jahres 1871, wurde dreimal heftig am Klingelzug des gelben Hauses gerissen. Die beiden Hausherrinnen öffneten und fanden eine üppig gebaute, schwarzhaarige, totenblasse Frau mit einem Bündel am Arm vor der Tür stehen, die sie anstarrte, einen Schritt vortrat und plötzlich wie tot auf der Schwelle niedersank. Als die erschrockenen Damen sie ins Leben zurückgerufen hatten, setzte sie sich auf, schaute sie abermals lang aus ihren tiefliegenden Augen an, wühlte – ohne bei alledem ein Wort zu sprechen –in ihrer durchnäßten Kleidung und brachte einen Brief zum Vorschein, den sie den beiden überreichte.
Er war richtig an sie adressiert, jedoch in französischer Sprache. Die Schwestern steckten die Köpfe zusammen und lasen. Der Brief lautete:
Meine Damen!
Erinnern Sie sich noch an mich? Mir, wenn ich an Sie denke, wird immer das Herz weit, und alles duftet nach Maiglöckchen. Ob wohl die Erinnerung an einen Franzosen und seine Ergebenheit Sie dazu vermag, einer Französin das Leben zu retten?
Die Überbringerin dieses Briefes, Madame Babette Hersant, hat ebenso wie meine göttliche Kaiserin aus Paris fliehen müssen. Der Bürgerkrieg hat in unseren Straßen getobt.
Franzosen haben französisches Blut vergossen. Die edelgesinnten Kommunarden, die die Menschenrechte verteidigen wollten, hat man zermalmt und vernichtet. Madame Hersants Gatte und Sohn, beide hervorragende Damenfriseure, wurden füsiliert. Sie selbst hat man als Pétroleuse festgenommen (das Wort bezeichnet hierorts Frauen, die Häuser mit Petroleum in Brand stecken), und sie ist mit knapper Not den blutbefleckten Händen des Generals Galliffet entronnen. Sie hat alle ihre Habe verloren und
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