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Babettes Fest

Babettes Fest

Titel: Babettes Fest
Autoren: Tania Blixen
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für sie ein trauriges und unbegreifliches Erlebnis gewesen, daß im letzten Jahr Zwietracht und Zank in seiner Herde ihr Haupt erhoben hatten. Die Schwestern hatten sich bemüht Frieden zu stiften, aber sie wußten, es war ihnen mißlungen. Es war, als wäre die feine und liebenswerte Ausstrahlung von ihres Vaters Persönlichkeit im Verdunsten begriffen, so wie Hoffmannstropfen verdunsten, wenn man sie unverkorkt in der Flasche auf einem Regal stehenläßt. Sein Hingang hatte eine Tür offenstehen lassen zu Dingen, die den zwei Schwestern – viel jünger als seine geistigen Kinder – bislang unbekannt waren. Aus einer ein halbes Jahrhundert zurückliegenden Vergangenheit, als die von keinem Hirten geleiteten Schafe noch im Gebirge irregelaufen waren, drängten sich ungebetene widrige Gäste hinter den Gläubigen durch die offene Tür und schienen die engen Räume zu verfinstern und Kälte hereinzulassen.
Die Sünden alter Brüder und Schwestern meldeten sich, mit spätem durchdringenden Reueschmerz wie Zahnweh, und auch die Verfehlungen anderer gegen sie kehrten als bitterer Stachel wieder, wie eine Blutvergiftung.
Da gab es in der Sektengemeinschaft zwei alte Frauen, die sich vor ihrer Bekehrung gegenseitig verleumdet und einander eine Ehe und eine Erbschaft ruiniert hatten. Jetzt konnten sie sich nicht mehr erinnern, was gestern oder vor einer Woche geschehen war; aber jenes vierzig Jahre alte Unrecht wußten sie noch und gingen die alte Rechnung durch, mit Gift und Galle aufeinander. Da war ein alter Bruder, dem plötzlich in den Sinn kam, ein anderer Bruder habe ihn vor fünfundvierzig Jahren geschäftlich übers Ohr gehauen; es wäre ihm vielleicht lieber gewesen, die Sache aus dem Sinn zu bekommen, aber sie saß da fest wie ein tiefeingedrungener eiternder Splitter. Ein grauhaariger, ehrbarer Schiffer in der Gemeinde und eine runzlige, gottesfürchtige Witwe hatten in ihren jungen Tagen, als sie mit einem anderen verheiratet war, ein Verhältnis miteinander gehabt. Neuerdings nun hatten sie angefangen, sich Skrupel zu machen; sie schoben die Last der Schuld einander zu und sorgten sich um die möglichen schrecklichen Folgen, die eine Ewigkeit lang andauern würden und von einem Menschen verursacht wären, der doch behauptet hatte, er habe einen lieb. Bei den Zusammenkünften im gelben Haus erbleichten sie voreinander und vermieden es, sich ins Auge zu sehen.
Als der Geburtstag näher kam, fühlten Martine und Philippa die Verantwortung immer schwerer werden. Ob der liebe, immer zuverlässige Vater auf die Töchter herabblicken und sie als unwerte Verwalterinnen anprangern würde? Untereinander besprachen sie sich ein übers andere Mal und wiederholten sich ihres Vaters Ausspruch, daß Gottes Wege auch übers salzige Meer und durchs Schneegebirg laufen, wo ein Menschenauge keine Spur gewahrt.
Eines Tages im Sommer brachte die Post einen Brief aus Frankreich für Madame Babette Hersant. Das war an sich schon eine Überraschung, denn während all der zwölf Jahre hatte Babette nie einen Brief erhalten. Was, fragten sich die Damen des Hauses, konnte darin stehen? Sie brachten ihn in die Küche, um dabei zu sein, wenn sie ihn öffnete und las. Babette öffnete ihn, las, hob die Augen von dem Briefblatt zu den Gesichtern der beiden und erzählte ihnen, daß ihre Nummer in der französischen Lotterie herausgekommen war. Sie hatte zehntausend Francs gewonnen.
Die Nachricht machte auf die zwei Schwestern einen solchen Eindruck, daß sie eine geschlagene Minute kein Wort hervorbrachten. Sie waren ihrerseits daran gewöhnt, ihre bescheidene Pension in kleinen Teilbeträgen zu erhalten, und es fiel ihnen schwer, sich die Summe von zehntausend Francs auf einem Haufen vorzustellen. Dann drückten sie Babette die Hand, wobei ihnen selbst die Hand ein bißchen zitterte. Sie hatten noch nie einer Person die Hand gedrückt, die einen Augenblick zuvor in den Besitz von zehntausend Francs gekommen war.
Nach einiger Zeit machten sie sich klar, daß die Geschehnisse für sie nicht weniger zu bedeuten hatten als für Babette. Das Land Frankreich, fühlten sie, erhob sich langsam überm Horizont ihrer Dienerin, und im selben Maße wankte ihre eigene Existenz unter ihren Füßen. Die zehntausend Francs, die Babette reich machten, wie arm wurde das Haus davon, in dem sie gedient hatte! Eine nach der anderen begannen alte, längst vergessene Sorgen und Beschwerlichkeiten sie aus den vier Ecken der Küche anzustarren.
Die
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