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Aussortiert

Aussortiert

Titel: Aussortiert
Autoren: Helmut Krausser
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sich vom Ausmaß des Schadens zu überzeugen.
    Die Fahndung wurde erneuert
     und verschärft. Diesmal würde Pfeifer gewarnt sein; Nabel
     versprach sich von der Fahndung wenig, es ging ihm nur noch darum, eine
     Fassade aufrechtzuerhalten, hinter der er sich unbeobachtet für sich
     und seine Leute schämen konnte.
    Seidel kam gegen acht Uhr
     aufs Revier und verlangte einen detaillierten Bericht. Nabel jedoch hatte
     sich krank gemeldet und lief sofort, nachdem die Fahndung rausgegangen
     war, zu Fuß nach Hause, in einem Zustand, den er selbst als
     besorgniserregend eingestuft hätte.
    Wie leicht es mit zwanzig
     gewesen war, eine, notfalls auch mal zwei Nächte durchzumachen.
    Daran dachte Nabel wehmütig
     und leicht ungläubig zurück. Unglaubhaft kam es ihm vor, daß
     die führende Spezies auf diesem Planeten, die Spitze einer vielfältigen
     Nahrungskette, so sehr auf Schlaf angewiesen war. Wie sollte so eine
     Spezies je fähig sein, ihre innerbetrieblichen Probleme ein für
     alle Mal zu lösen? Ich brauche Amphetamine, dachte er, ich will so
     nicht ins Bett kriechen, wo bekomm ich welche? Hasenheide. Kein Problem.
     Nein, fang das nicht wieder an! Geh heim und penn die Scheiße weg.
     Leg den Hörer nebens Telefon. Ich bin ein Dienstleister, der
     Geringste, muß Pizza nachts in die Wildnis transportieren und auf
     einen Fuffi korrekt herausgehen, ohne mich zu fürchten. Und ohne daß
     die Ware kalt wird. Dann wird ein Heer zufriedener Kunden mich am Ende des
     Lebens lobend erwähnen, und ab in die Gruft, was für ein
     Wahnsinn!
    So, über seine Existenz
     lose Reden schwingend, schleppte er sich gegen halb zehn Uhr morgens die
     Treppen hoch, um den verschärft gesuchten Pfeifer auf der Schwelle
     der eigenen Wohnung vorzufinden.
    Nabel schrak zusammen, als sähe
     er auf ein Gespenst herab. Unschlüssig, was zu tun war, setzte er
     sich neben Pfeifer und sagte erst einmal nichts, zumal der verschärft
     Gesuchte mit einer Pistole spielte, die er mal von der linken in die
     rechte Hand nahm und umgekehrt.
    Nabel stellte keine Fragen,
     das schien angesichts der Situation unpassend, er fühlte, daß
     es an Pfeifer war, zu reden. Und Pfeifer redete, stockend erst, dann
     zunehmend flüssiger. Im Wortsinn. Er heulte sich aus, fand aber die
     Kraft, zusammenhängende Sätze zu bilden.
    »Ich habe zwei
     Schwestern, wissen Sie’? Zwei jüngere Schwestern, beide
     verheiratet, beide haben Kinder. Nabel, haben Sie Schwestern und Kinder?«
    »Nein.«
    »Man hat mir eine SMS
     geschickt. Was soll ich denn jetzt tun? Sie bedrohen meine Schwestern.«
    »Wer denn? Wer bedroht
     Ihre Schwestern?«
    »Soll ich mich einfach
     so davonmachen? Die bringen sie um, die tun es, ich weiß es.«
    »Geben Sie mir doch mal
     die Pistole. Die macht mich nervös.«
    Pfeifer schüttelte den
     Kopf, was wohl heißen sollte, ihn mache die Pistole nicht so nervös.
    »Die bluffen nicht. Ich
     bin am Ende. Was für ein Bruder wär ich? Wenn ich nur verstünde,
     warum.«
    »Warum was?«
    »Ich muß es tun.«
    »Bleiben Sie cool!«
    »Das sagt sich leicht
     so dahin.« Pfeifer hob die Pistole an die mit drei Stichen genähte
     Stirn. Nabel reichte ihm eine Zigarette.
    »Wenn Sie sich schon
     erschießen müssen, dann bitte nicht vor meiner Wohnungstür.
     Gehen wir hinein? Da können Sie das Bad benutzen. Und wenn Sie sich
     ohnehin gleich das Hirn rausblasen, könnten Sie mir genausogut vorher
     noch was erzählen. Dafür würd ich glatt ne Tasse Kaffee
     spendieren.«
    Nabel rann der Schweiß
     die Wirbelsäule entlang, er riß sich zusammen, sperrte die Tür
     zu seiner Wohnung auf und ging hinein. Pfeifer hatte die angebotene
     Zigarette nicht genommen. Ungläubig starrte er Nabel hinterher.
    Der drehte sich, am Ende des
     Flurs, um. »Also, was ist nun?«
    Pfeifer stand mit hängenden
     Schultern auf dem Fußabstreifer, kaute auf seinen Lippen. Schließlich
     trat er mit zwei langen Schritten ein und schob die Tür hinter sich
     zu. Die Pistole behielt er in der Hand.
    »Was wollen Sie denn
     wissen?«
    »Alles?«
    »Wozu? Sie bringen sich
     damit nur in Gefahr. Ich meine, Sie sind mir egal, ehrlich, aber Lidia
     nicht. Wir waren mal in derselben Klasse, wußten Sie das?«
    »Hab davon gehört.
     Ich mach erstmal Kaffee.«
    »Wären Sie
     Arschloch nicht gewesen, würde ich jetzt in der Karibik sitzen!«
     rief Pfeifer ihm hinterher, als Nabel die Küche betrat.
    »Dann hätten Sie
     trotzdem diese SMS bekommen und hätten
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