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Video-Kid

Video-Kid

Titel: Video-Kid
Autoren: Bruce Sterling
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    Träumerei leuchtet. Der Planetenrand ist von einer hellen atmosphärischen Dunstschicht umgeben, die weiten, flachen Meere funkeln, und die großen Korallenatoll-Kontinente schimmern braun, grün und weiß durch freie Stellen in den zerfasernden Wolken. Die Luft über Telset, meiner Heimatinsel, ist klar wie Glas, als die Kamera näher heranfährt. Ich habe mich anhand von Wettersatellitenfotos genau informiert, bevor ich mit der Aufzeichnung begann. Die Szene wirkt dadurch beruhigend und irgendwie hypnotisch. Die Kamera fährt noch weiter nach unten, und die Straßen und Plätze meiner Stadt vergrößern sich, kommen immer näher. Ein einzelner Häuserblock, eine einzige Straße, eine einzige Person. Ich. Und mein Bild schwillt an, bis es die ganze Leinwand ausfüllt. Dazu ertönt eine Stimme aus dem Off:
    »Meine Damen und Herren: Video-Kid. Dieses Band wurde ermöglicht durch Reichhart Münz-Scheinberg und Video-Kid. Copyright C.R.Y. 499 by Video-Kid für Kognitiv-Dissonanz-Enterprises, Träumerei.«
    Meine Zuschauer setzen sich mehrheitlich aus Hochgleitern zusammen, die unseren Korallenplaneten in stadtgroßen Orbital-Eininseln umrunden. Ich ziehe sie hinab auf die Planetenoberfläche, ich beziehe sie persönlich ein in diese ersten dreißig Bandsekunden. Orbital-Träumereier halten den Planeten für einen zwar wundervollen, aber entlegenen Ort und die Bewohner dort unten, wie mich zum Beispiel, für liebenswert, aber etwas hinterwäldlerisch. Ich zerstöre die Distanz der Aufnahme. Ich blicke direkt in die herunterkommende Kamera, und meine nur eine Spur zu Schlitzen zusammengezogenen Augen, mit Eyeliner schwarz umrandet, schauen so kalt und böse wie die einer Natter. Ich fordere den Zuschauer heraus. Ich glaube an direkte Herausforderungen. Sie gehören wesentlich zur Kampfkunst.
    Früher haben mich viele Leute gefragt, wie ich Kampfkünstler geworden und zu dem Namen Video-Kid gekommen sei. Sie haben rasch aufgehört, so neugierig zu sein, nachdem ich sie rücksichtslos zusammengeschlagen habe. Jedes Interview mit mir endete gewöhnlich damit, daß ich »die Beherrschung verlor«, beziehungsweise kunst- und planvoll auf den Reporter eindrosch. Aber heute sind die Tage vorüber, an denen ich es für notwendig hielt, um mich herum den Ruf von Wildheit und unbeherrschter Gewalt zu verbreiten. Heute bin ich bereit, auf neugierige Fragen mit Worten zu antworten.
    Also, warum nennt man mich Video-Kid? Darauf kann ich nur antworten, daß alle Kampfkünstler eine unverwechselbare Besonderheit brauchen. Bei mir war dies stets meine Jungenhaftigkeit und künstlerische Wildheit. »Kid« bezeichnet auf Träumerei wie anderswo auch einen jungen Menschen, aber hier verbindet man damit außerdem so etwas wie rotzfreches oder asoziales Verhalten.
    Ich fahre mit der Analyse meines Bandimages fort. Dieses Image kenne ich in- und auswendig, mehr noch, ich bin besessen davon. An vielen Tagen bin ich erst beim Dunkelwerden aufgestanden und habe die ganze, achtzehn Stunden währende Träumereinacht hindurch gearbeitet. Für Scheinberg und den Markt habe ich an den Bändern herumgefeilt und sie um- und neugeschnitten. Mein Image auf den Bändern ist das eines jungen Mannes, eines sehr jungen Mannes. Dieser Kid ist durchtrainiert, aber nicht übermuskulös. Seine Haut unter einer dünnen und glänzenden grünen Ölschicht ist dunkel und sonnengebräunt. Kid ist nicht groß, gerade einen Meter sechzig hoch. Er trägt eine dicke, wattierte und verstärkte Lederjacke. Zwei Stützstangen panzern seine Schultern, und ein schwerer, steifer Kragen schützt seinen Nacken. Er trägt eine glitzernde Metallplattenhose mit elastischen Gelenken und ebensolchem Gürtel, natürlich mit schwarzen Aufschlägen. An seinen Füßen stecken glänzende, schwarze Kampfstiefel. Sein Kopf wirkt für den kleinen Körper etwas überproportioniert. Keine Linien zeichnen sich auf seinem Gesicht ab. Er hat keinen Bartwuchs, aber breite Wangenbeine, ein schmales, spitzes Kinn und epikanthische Augen. Die Lider sind dick schwarz umrandet. Seine Frisur ist auch für Träumerei ungewöhnlich. Jede einzelne Haarsträhne ist mit Plastik laminiert. Zusammen bilden sie ein federspielartiges Gewirr aus harten, schwarzen und spitzen Stacheln. In der Luft über ihm schweben sechs kleine, lautlose Kameramoduln. Jede ist mit zwei Linsen und einem Tonaufnahmegerät ausgestattet. Diese schwebenden Kameras sind immer um ihn.
    In der Rechten hält Kid lässig einen
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