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Aussortiert

Aussortiert

Titel: Aussortiert
Autoren: Helmut Krausser
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ich mir vorhin überlegt habe? Wie Sie als Kronzeuge
     wirken würden. Glauben Sie ernsthaft, irgendein Staatsanwalt würde
     mit Ihnen als Zeugen ein Verfahren eröffnen? Albern. Ümal ist
     doch nicht blöd. König war wichtig. Sie sind nur ein Stück
     Dreck. Hauen Sie ab, in die Karibik, ich werde die Fahndung abbrechen
     lassen, los, ziehen Sie Leine!«
    Pfeifer starrte ihn an. Mit
     weit offenen Augen, die die neue Situation vergeblich zu taxieren
     versuchten, in denen aber neue Hoffnung leuchtete.
    »Sie lassen mich
     einfach so laufen?«
    »Ungern. Geben Sie Ihre
     Pistole her! Ich sorge dafür, daß Sie nicht behelligt werden.
     Nehmen Sie den 13-Uhr Zug nach Amsterdam und von dort ein Schiff. Raus
     jetzt!«
    David Pfeifer legte, nach
     kurzem Zögern, die Pistole auf den Küchentisch und rannte durch
     die noch angelehnte Tür die Treppen hinunter. Nabel hatte ihn richtig
     eingeschätzt. Glücklicherweise. Wenn man auf etwas bauen kann,
     auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner, ist es die Todesangst. Die
     allermeisten Menschen auf dem Niveau Pfeifers würden so gut wie alles
     tun, um ihr Leben zu verlängern. Ausnahmen heroischer Art kommen
     meist nur aufgrund irgendeines Zeitdrucks oder Hormonschubs zustande.
     Besitzen solche Typen Zeit genug zu überlegen, wollen sie auch überleben.
    Kurz nachdem Pfeifer die
     Wohnung verlassen hatte, telefonierte Nabel mit dem Revier, hob die
     Fahndung nach Pfeifer auf, und aus Gründen, die er für sich
     behielt, befahl er Ahmed, die Adressen der beiden Schwestern zu eruieren
     und Beamte hinzuschicken, für alle Fälle.

 
    23
    Kriminaloberrat Dr. Seidel
     ließ seinen Unmut an Lidia aus, indem er sie mittags aus dem Bett
     klingelte und sie telefonisch in sein Büro zitierte.
    Was da los sei? An einem so
     ereignisreichen Tag melde sich Nabel einfach krank, das sei ja wohl das
     letzte, wahrscheinlich habe er gesoffen. Und was das mit Pfeifer zu
     bedeuten habe? Erst jage er, ohne jede Begründung, einen Polizisten,
     dann lasse er die Fahndung wieder fallen, der Innensenator habe bei ihm,
     Seidel, angerufen und wissen wollen, welches Chaos hier herrsche, der
     Polizist, dieser Pfeifer, sei wahrscheinlich ein verdeckter Ermittler, die
     Presse bombardiere das Revier mit Fragen, auf die er keine Antwort wisse,
     und Nabel sei offenkundig nicht zu Hause, er habe ihn vergebens zu
     erreichen versucht. Was für ein Saustall! Ein Kriminaler, der nicht
     zu erreichen sei, das grenze an Insubordination!
    Lidia war müde, nicht
     auf dem neuesten Stand und zeigte sich von der Entwicklung glaubhaft
     überrascht. Pfeifer wieder frei? Naja. Das werde schon Gründe
     haben, sie sei überzeugt, daß Nabel welche habe. Zu seiner
     Verteidigung führte sie die letzte Nacht an, in der er und sie
     durchgearbeitet hätten, irgendwann müsse jeder Mensch mal
     schlafen, selbst im mittleren Dienst, das sei Naturgesetz.
    »Wenn sich Nabel nicht
     innerhalb der nächsten drei Stunden bei mir meldet, übernehmen
     Sie die Soko, Frau Rauch. Ich hab die Nase voll von Kais Eskapaden!
     Gestrichen voll!«
    Die Zeitungen hatten die
     Ermordung Tschutschelows nicht mehr für ihre Morgenausgaben
     aufbereiten können, die Verbindung zur lila Serie wurde der Presse
     gegenüber vorerst noch geheimgehalten, von daher ergab sich eine
     geringe Schonfrist, bis die Information doch durchsickern würde. Eine
     sehr geringe.
    Lidia ging an ihren
     Schreibtisch. Ahmed berichtete, er habe Pfeifers Schwestern ausfindig
     gemacht und jeweils zwei Beamte zu deren Schutz abgestellt.
    »Pfeifers Schwestern?«
     fragte Lidia verständnislos.
    »Mehr weiß ich
     auch nicht. Dachte, du würdest mich aufklären.«
    »Ich? Wieso?«
    »Na, war nur so ne
     Frage. Du mit deinen besonderen Verbindungen zu Kai …«
    »Bitte?«
    »Tschuldigung, hab
     gedacht, wenn jemand den Backstagepaß zu seinen Gedanken hat, dann
     du.«
    »Paß auf, was du
     redest.«
    »Keine Angst. Ich halte
     dicht.«
    Lidia warf ihm ein Bündel
     unbenutzter Briefumschläge an den Kopf. Ahmed lachte. Und verstummte.
     Seidel stand plötzlich in der Tür. Kommentarlos ließ er
     den Blick auf den beiden vor Schreck erstarrten Kriminalbeamten ruhen,
     etliche Sekunden lang, bevor er sich umdrehte und mit stampfenden
     Schritten den Flur hinunterlief.
    Ruslan Dschanow erwachte auf
     der mit Gazellenleder bespannten Récamiere, die zur Präsidentensuite
     gehörte. Es war Mittag. Er hatte die nach Erbrochenem stinkende und
     laut
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