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Aussortiert

Aussortiert

Titel: Aussortiert
Autoren: Helmut Krausser
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ballettartigen Schritten zum Aufzug
     eskortierte.
    »Pfeifer läuft
     Amok. Ich kam um zehn Minuten zu spät. Zwei Leichen. Pfeifer ist flüchtig.
     Tut mir leid, daß ich mich nicht früher gemeldet habe. Ich
     wurde bedroht. Er war bei mir in der Wohnung. Als ich anrief, um die
     Fahndung aufzuheben, hielt er mir seine Knarre an den Kopf.
    »Oh.«
    »Ich wußte, er
     hatte was vor. Habs ihm auszureden versucht. Sind seine Schwestern in
     Sicherheit?«
    »Seine Schwestern.«
     Seidel sah ihn mit leicht zusammengekniffenen Augen an.
    »Ich erklär Ihnen
     alles, Herr Doktor.«
    »Das wäre großartig,
     Nabel. Großartig.«
    Der Fahndungsbefehl nach
     Pfeifer wurde gegen zwei Uhr nachmittags erneuert. Auf eine beiläufig
     geäußerte Vermutung Nabels hin konnte er im ICE nach Amsterdam,
     kurz vor der holländischen Grenze, verhaftet werden. In der Präsidentensuite
     des Kempinski fand sich Pfeifers Pistole, mit dessen Fingerabdrücken
     auf Schaft und Griff. Noch leugnete er strikt, brüllte hysterisch,
     strampelte wie ein Epileptiker und stellte phantastische Theorien auf. Die
     Indizien jedoch waren erdrückend. Obwohl seit fast dreißig
     Stunden im Dienst, ließ es sich Nabel nicht nehmen, das Verhör
     persönlich durchzuführen.
    Seidel bat währenddessen
     Lidia in sein Büro. »Liebe Frau Rauch, ich bitte Sie –
     was ich heute mittag zu Ihnen gesagt habe, wegen Kais Eskapaden, erinnern
     Sie sich?«
    »Ja.«
    »Schade. Mir wärs
     lieb, Sie vergessen es. Ich habe zu wenig Vertrauen in ihn gehabt, tut mir
     leid – er soll möglichst nichts davon erfahren. Er scheint
     wieder in Hochform zu sein. Beinahe wie früher …«
    »Ja.«

 
    24
    Im Treptower Kanal wurde tags
     darauf eine weibliche Leiche gefunden, etwa zwanzig, ohne Kopf und Hände,
     aber die Körbchengröße paßte. Die Schweinezeitung
     war sich nicht zu blöd, zu titeln: War etwa sie die Ninja-Killerin?
    Der lila Pfeil zeigte auf den
     leeren Raum über dem durchtrennten Hals. Das war selbst für die
     Schweinezeitung zu derb, und der zuständige Bildredakteur mußte
     tags darauf seinen Posten räumen.
    Pfeifer beruhigte sich bald,
     sah ein, wie unsinnig und nutzlos seine anfangs geäußerten
     Verteidigungen wie Anschuldigungen waren. Nach seinem Geständnis
     schwappten ihm Wellen der Sympathie entgegen. Manche sahen in ihm einen,
     wenn auch tragisch umwitterten, Helden. Mit dem gestrauchelten Polizisten,
     dem raffinierten Dieb, dem konsequenten Verteidiger seiner
     Blutsverwandtschaft konnten sich in diesen Zeiten erstaunlich viele
     Menschen identifizieren.
    Letztendlich erhielt er wegen
     Tötung im Affekt bei mildernden Umständen und positiven
     psychologischen Gutachten neun Jahre Haft. »Raus in sechs«,
     murmelte er bei der Urteilsverkündung.
    Wer ihn beim Austausch der
     Heizungskörper von außen und innen unterstützt hatte,
     behielt Pfeifer für sich, trotz großzügiger Angebote der
     Staatsanwaltschaft. Beinahe jeder zeigte dafür offen oder insgeheim
     Verständnis. Die verdächtigen Chemiker des Instituts in der
     Urbanstraße stritten durchweg ab, Pfeifer zu kennen. Es blieb nichts
     übrig, als alle fünf auf weniger verantwortungsvolle Posten zu
     versetzen oder aus dem Polizeidienst zu entlassen.
    Für die Morde der lila
     Serie, einschließlich dem an Maschka Kotylew, wie auch für das
     Attentat auf Josef König wurden Dschanow und Frau von Schönfels
     verantwortlich gemacht, sämtliche daraus resultierenden Verfahren
     aber mangels Beweisen eingestellt. Gegen Tote wird grundsätzlich
     nicht ermittelt. Die ehemaligen Leibwächter Tschutschelows hatten das
     Land verlassen.
    Nabel wurde am Jahresende zum
     Kriminalrat befördert. Lidia erhielt eine Auszeichnung, für ihre
     im Wortlaut »mutige, die eigene Gesundheit gefährdende
     Undercoveraktion«.
    Zwei Monate nach dem Massaker
     im Kempinski-Hotel kam es im Francis-Club zu einem sehr farbenprächtig
     inszenierten Treffen zwischen Volokitin, Dschanows Nachfolger, und dem
     Paten der mächtigsten türkischen Familie, Ümal. Beide
     tranken Bruderschaft, besangen und betanzten ihr historisches Bündnis
     und versprachen, von nun an alles zu tun, um Berlin aus dem organisierten
     Würgegriff der Polen, Serben, Albaner, Thais, Bulgaren et cetera zu
     befreien.
    Weil die Sachlage insgesamt
     zu verworren war, zu diffus, setzte die Presse bald einen freiwilligen
     Schlußstrich darunter. Dschanow und die Gräfin bekamen vom Hühnerblatt
     immerhin noch
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