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Die Klassefrau

Die Klassefrau

Titel: Die Klassefrau
Autoren: Martin Michelle
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    Mit einem glücklichen Lächeln wachte Peter Drake auf. Heute würde er sie endlich finden. Noch nie war er sich einer Sache so sicher gewesen. Er stand auf und tänzelte geradezu ins Badezimmer unter die Dusche. Das Geräusch des Wassers, das über seine Haut strömte, klang wie Sirenengesang in seinen Ohren. Mit den Gedanken noch immer bei seinem Traum, seifte er sich mechanisch ein und wusch sich das Haar mit Shampoo und Spülung. Sein siebter Traum.
    Der erste Traum war verschwommen gewesen, mehr von Gefühlen als von klaren Bildern bestimmt, von Gefühlen reinen Glücks und der Freude. Mit jeder Nacht waren die Träume detaillierter und genauer geworden, bis er beim vierten Traum endlich ihre Bedeutung verstanden hatte: Er würde schon bald seiner zukünftigen Ehefrau begegnen. Die letzte Nacht hatte die endgültige Bestätigung gebracht. Es war der erotischste Traum gewesen, den er je gehabt hatte. Nicht wegen irgendwelcher sinnlicher oder gar pikanter Einzelheiten, nein, sondern wegen der körperlichen, emotionalen und seelischen Bindung zu dieser Frau in seinen Armen. Er würde diese Frau, seine Seelenverwandte, finden, und zwar heute. Die Zahl sieben hatte den Ausschlag gegeben.
    Und heute war der siebte Januar.
    Aus voller Kehle schmetterte Peter Drake Some En chanted Evening , stellte die Dusche ab, griff nach einem Handtuch und trocknete sich ab. Endlich hätte dieser Schmerz, diese Leere in seinem Inneren ein Ende. Endlich würde er glücklich werden. Eine Ehefrau würde die Sehnsucht in ihm stillen und Freude in sein Leben bringen. Sie musste es einfach. Etwas anderes hatte nicht funktioniert.
    Er zog sich in aller Hast an, da er es kaum erwarten konnte, dass dieser Tag und diese Zukunft, nach der er sich so lange gesehnt hatte, endlich begannen. Er musste sich geradezu überwinden, ein Glas Milch als Frühstück hinunterzustürzen. Dann nahm er seine Schlüssel, seine Brieftasche, seine Pistole und seine Dienstmarke, zog sein Jackett an und – nach einem Blick aus dem Fenster, das den Blick auf die Bucht und einen bleiernen Himmel freigab – einen Regenmantel. Zwei Stufen auf einmal nehmend, lief er wenig später hinaus in den kühlen Morgennebel, der über San Francisco hing.
    Sein schwarzer BMW 325 reagierte umgehend auf die leichte Drehung des Schlüssels im Zündschloss, genau wie es die deutschen Ingenieure vorgesehen hatten. Wie gewohnt genoss Peter die Geschmeidigkeit der weichen Ledersitze, spürte die kraftvolle Vibration des Motors und stieß einen tiefen Seufzer der Befriedigung aus. Fünf Jahre hatte er jeden übrigen Dollar gespart, aber dieser Wagen war es wert gewesen.
    Um sieben Uhr früh war noch nicht allzu viel los, doch dreißig Minuten später würden die zahllosen verschlafenen Pendler für ein völlig anderes Verkehrsbild sorgen. Aber jetzt musste Peter den Ampeln und den anderen Verkehrsteilnehmern noch keine allzu große Aufmerksamkeit schenken, sondern konnte sich voll und ganz auf den vor ihm liegenden wunderbaren Tag konzentrieren.
    Eine Frau. Endlich. Seit neun Jahren war er auf der Suche nach ihr und wartete auf das vertraute Zeichen, das ihm sagte: »Sie ist es!« Doch es hatte sich nie bemerkbar gemacht. Es hatte charmante Rendezvous gegeben, lustvolle Affären, kluge und reizende Kolleginnen, aber keine von ihnen war die Richtige gewesen. Das hatte er immer auf der Stelle gewusst.
    Peter blinzelte und trat voll auf die Bremse. Glücklicherweise war kein Wagen hinter ihm.
    Er hatte überhaupt keine Ahnung, wie sie aussah! Er wusste nicht, wie groß sie war, welche Haarfarbe sie hatte, ob ihre Augen blau oder braun waren. Er wusste nicht einmal, wie sie hieß!
    »Verdammt«, brummte er. »Und was mache ich jetzt? Soll ich mich an die belebteste Straßenecke stellen und darauf warten, dass sie vorbeikommt?«
    Abgesehen von der Tatsache, dass er zur Arbeit musste, war die Idee gar nicht mal so schlecht. Er würde sie auf den ersten Blick erkennen, so viel stand fest. Seine übersinnliche Wahrnehmung – die auch für seine Zukunftsträume verantwortlich war – hatte ihn noch nie getrogen. Sie hatte dafür gesorgt, dass er auf die richtigen Footballteams gesetzt hatte und mit fünfzehn Jahren mit der Absicht zu Becky Lamont gegangen war, seine Jungfräulichkeit zu verlieren. Und diese übersinnliche Wahrnehmung hatte ihn auch in Geldangelegenheiten noch nie im Stich gelassen. Jetzt, im Alter von sechsunddreißig, vertraute Peter Drake ihr voll und ganz.
    Er würde
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