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Aussortiert

Aussortiert

Titel: Aussortiert
Autoren: Helmut Krausser
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feindseliges, nein. Vielleicht glaubte er, Deutschland sei ihm etwas
     schuldig. Ja. Aber er blieb immer ein höflicher Bittsteller.«
    Was für ein Theater.
     Nabel hielt es kaum aus.
    »Hatte er viele Feinde?«
    »Ja. Selbstverständlich.
     Viele namenlose kleine Feinde. Wie jeder fleißige und erfolgreiche
     Mensch! Sie stellen ihn hin als Großkriminellen aus Randasien! Was
     bilden Sie sich bloß ein?«
    »Ich bin nur ein
     Kleinkriminaler. Mit beschränktem Horizont.«
    »Ja, das sind Sie.«
    »Würden Sie sagen,
     Sie haben eine gute Ehe geführt, Frau … Gräfin?«
    »Ach hören Sie
     doch mit dem Scheiß auf! Was soll das denn? Igor ist tot, ich bins
     nicht gewesen, mehr geht Sie nichts an. Meine Ehe ist tabu, ja? Sind Sie
     mein Gynäkologe oder was?«
    Nabel bemerkte erst jetzt, daß
     die Dame des Hauses wohl ein wenig zuviel getrunken hatte oder zumindest
     genau das von sich glauben machen wollte. Es erheiterte ihn, ebenso wie er
     neidisch war auf alle, die sich unbekümmert aus der Schnapsbar
     bedienen durften. Gott, wie gerne hätte er sich jetzt die Kante
     gegeben. Einzig die Anwesenheit Lidias mahnte ihn zur Ordnung. Die
     Pflicht. Die Scheißpflicht. Das vermaledeite Preußentum des
     Lebens.
    Ihn verlangte nach Spaß.
     Diese ganze bizarre Versammlung war für den Arsch. Ihm war es im
     Grunde genommen egal, welcher der vier Leibwächter es getan hatte,
     auf Anweisung des machtgeilen, sich dabei so gering gehenden Dschanow und
     dieser heruntergekommenen blaublütigen Drecksau. Die arme Maschka,
     das unschuldige Ding aus einem ukrainischen Dorf mit Körbchengröße
     75 C, würde sicher bald irgendwo gefunden werden, stillgelegt,
     stummgeschaltet. Das war das Schlimmste an der ganzen ohnehin schon
     widerlichen Sache, daß nicht nur ein fetter überbehaarter
     Brocken daran glauben, nein, daß noch irgendein unbeteiligtes Mädchen
     ohne jede Schuld als Kollateralschaden herhalten mußte. Die Welt war
     zum Kotzen böse, irreparabel.       
    Anita von Schönfels-Tschutschelow
     schien Nabels Gedanken zu erraten, sie goß, als könne sie nicht
     anders, zusätzlich Feuer in seine Wunden. Inzwischen hielt sie es
     nicht einmal mehr für nötig, zu flennen. In ihre eben noch
     verheulten Augwinkel stahl sich ein böse zwinkernder Schalk, die
     Lust, mit ihrem Gegenüber zu spielen.
    »Kommissärchen!
     Ich bin müde. Mag sein, daß auch sinnlose Fragen hin und wieder
     helfen. Vieles wird einfach nicht besser dadurch. Suchen Sie nach diesem
     Biest. Wir waren alle sehr geduldig, nicht wahr? Wir stehen Ihnen auch
     alle weiterhin zur Verfügung. Ab morgen. Glauben Sie denn, ich will
     hier übernachten? Ich muß mir noch ein Quartier suchen. Bitte!
     Gehen Sie jetzt besser nach Hause und schlafen Sie, wir haben alle Schlaf
     nötig, ich auch.«
    So weit war es also. Kommissärchen.
     Dergleichen sich anhören zu müssen, war sein Schicksal geworden.
     Verspottet zu werden. Verhohnepipelt. Das führte doch alles zu
     nichts. Nabel zog wortlos ab. Lidia übernahm es, an seiner Stelle
     eine gute Nacht zu wünschen. Vorher bat sie Dschanow darum,
     Mitteilung zu machen, wo er oder Anita jeweils zu erreichen seien, am
     besten per SMS. Sie gab ihm einen Zettel mit der Rufnummer.
    Dschanow verbeugte sich lächelnd.
     »Das werde ich gerne tun, schöne Frau. Ich habe überhaupt
     nichts dagegen, Sie bald wiederzusehen. Mit Ihnen zusammenzuarbeiten wäre
     mir sogar ein Vergnügen. Ihren Chef können Sie dann zu Hause
     lassen.«
    Lidia gab keine Antwort,
     nickte nur knapp und verließ das Haus.
    »Warum so scheißdiplomatisch?«
     fragte Kai sie auf der Straße.
    »Weil du es leider
     nicht bist.«
    »Glaubst du, ich hatte
     mich nicht unter Kontrolle? Da täuschst du dich. Ich hatte mich
     jederzeit unter Kontrolle. Und ich verabscheue mich dafür. Genauso,
     wie ich es abscheulich finde, wenn du dich bei irgendwem für mich
     entschuldigst!«
    Lidia hatte ihren Chef nie so
     erlebt. Zum Fürchten zornig. Ahmed wollte wissen, wie die Befragung
     gelaufen sei. Nabel schnauzte ihn an, er solle fahren, keine Fragen
     stellen.
    Lidia und Ahmed wechselten
     betretene Blicke.
    »Wird das heute noch
     was?«
    Ahmed legte den ersten Gang
     ein.
    Sobald der Kommissar und bald
     nach ihm die Leichenbestatter samt Gepäck das Gebäude verlassen
     hatten, beugten die vier Leibwächter nacheinander vor Dschanow das
     Knie und küßten seinen Ring. Eine Szene von beinahe antikem
     Pathos, die Anita
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