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Auf der Straße nach Oodnadatta

Auf der Straße nach Oodnadatta

Titel: Auf der Straße nach Oodnadatta
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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meiste allerdings schon aus erster Hand von den jeweils Beteiligten kannte. Brahe berichtete von der eintönigen Wartezeit hier am Cooper Creek, dem Unfall Pattons, der die Lage immer prekärer hatte werden lassen, und dem Ausbleiben Wrights. Der wiederum führte all die Schwierigkeiten auf, mit denen er in Menindee und auf dem Weg hierher zu kämpfen gehabt hatte. Natürlich nahm der Bericht von Burke und Wills die längste Zeit in Anspruch.
    Ich begab mich zu meinem etwas abseits stehenden Off-Roader und wollte mir, unbeobachtet von den anderen, einen Überblick über die Sachen verschaffen, die aus dem Jahr 1861 zusammen mit dem Wagen selbst verschwinden mussten, und solchen, deren Existenz ich jederzeit begründen konnte. Als ich meine Reisetasche durchwühlte, stieß ich auf meinen Fotoapparat. Den hatte ich ganz vergessen. Ich hielt ihn unschlüssig in den Händen. Viel war damit nicht mehr anzufangen, denn in absehbarer Zeit wäre die Batterie leer und damit auch dieses Erzeugnis des beginnenden einundzwanzigsten Jahrhunderts wertlos. Ich blickte zu den Männern hinüber, die um das Lagerfeuer standen. Vorsichtig hob ich die Kamera über die Bordwand der Ladefläche und drückte auf den Auslöser. Das Geräusch des Verschlusses und des Filmtransports klang viel zu laut in meinen Ohren, doch außer mir schien niemand es bemerkt zu haben. Ich machte eine weitere Aufnahme. Warum, wusste ich selbst nicht. Niemand würde den Film entwickeln können – oder vielleicht doch? Vielleicht brauchte das Universum ja ein bisschen Zeit, um sich den neuen Verhältnissen anzupassen?
    Während des Abends bemerkte ich, wie Burke Brahe zur Seite nahm. Sie gingen ein Stück aus dem Lichtkreis des Feuers hinaus, und ab und zu drangen Wortfetzen zu mir herüber. Man musste kein Hellseher sein, um zu ahnen, dass ich der Gegenstand des Gesprächs war. Mir war es egal. Burkes Rettung bedeutete auch meine Rettung, und über Melbourne machte ich mir noch keine Gedanken. Morgen würde ich mir ein gutes Plätzchen für meinen Off-Roader suchen und ihm einen Abschiedskuss geben. Dann gab es nichts mehr, was an die Zukunft erinnerte, außer meiner Erinnerung. Irgendwann – das Kreuz des Südens hatte schon bedenklich Schlagseite – krochen wir alle in unsere Decken und versuchten zu schlafen. Ich lag noch einen Moment lang wach auf der Pritsche des Toyota und starrte durch die Zweige des Coolibah-Baums in den sternenklaren Himmel. Mein letzter Gedanke, bevor ich beruhigt einschlief, war: Ich hatte dem Universum in den Arsch getreten.
     
    Genauso beruhigt erwachte ich am nächsten Morgen, doch dieses Gefühl hielt nur solange an, bis ich mich aufgerichtet und einen Blick auf den Lagerplatz geworfen hatte. Da war niemand mehr, auch keine Spuren eines Lagers. Es war nicht einfach so, dass mich die anderen am Dig Tree zurückgelassen hätten, nein, noch nicht einmal der Dig Tree war da. Ich befand mich genau an dem Punkt, wo die ganze Sache begonnen hatte. In Windeseile war ich aus meinem Swag heraus und lief ratlos ein paar Meter in die, dann ein paar Meter in eine andere Richtung. Dann setzte sich mich auf den Campingstuhl, der dastand, wie ich ihn an jenem weit entfernten Abend zurückgelassen hatte, und starrte auf meine Feuerstelle vom Abend zuvor. Nach zwei Zigaretten war ich wieder einigermaßen in der Lage nachzudenken. Wo – oder besser gesagt wann – befand ich mich jetzt. Oder hatte ich nur geträumt. Einen entsetzlich realistischen Traum, der mich in das Jahr 1861 versetzt hatte? Ich musterte meinen Off-Roader. Er trug noch alle Spuren meiner Erlebnisse vor hundertvierzig Jahren. Die Seitenscheibe war immer noch kaputt und auch die Schrammen, die ich mir bei der Flussdurchquerung geholt hatte, waren noch da. Hinten auf der Ladefläche befanden sich zwei platte Reifen.
    Ich musste wissen, in welchem Jahr ich mich befand. Am Besten wäre, so schnell wie möglich nach Innamincka zu fahren. War ich in meiner Zeit, dann gab es dort die Station, und ich konnte endlich tanken. Mir fiel das Satellitennavigationsgerät ein. Ich holte es hervor und schaltete es ein. Zwei kurze Piepser, danach erschien im Display: 140° 36’ 00“ Östliche Länge; 27° 17’ 30“ südliche Breite. Ich brauchte nicht lange nachzugrübeln, das war in etwa der Punkt, wo ich sein sollte. Wichtiger war, dass ich mich wieder in einer Zeit befand, wo Satelliten am Himmel ihre Bahn zogen. Ich holte meine Westprintkarte aus dem Handschuhfach. Mit zitternden
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