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Brandzeichen

Brandzeichen

Titel: Brandzeichen
Autoren: Beverly Connor
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    P lötzlich wurde Diane Fallon wach. Sie lag noch einen Augenblick im Halbschlaf da. Sie hatte Angst und wusste weder, wo sie war, noch, was sie gehört hatte. Sie versuchte, einen klaren Blick zu bekommen. Das glasgerahmte Foto eines Kammerschalennautilus an der Wand neben ihrem Bett flackerte in einem seltsamen Orange. Diane holte tief Luft, rollte sich herum, stützte sich auf die Ellbogen und lugte aus dem Fenster ihrer Wohnung. Über Nacht war Schnee gefallen. Die frisch vereisten Bäume, die die Straße vor ihrem Haus säumten, wirkten nun wie helle Silhouetten vor einem unnatürlichen orangeglühenden Hintergrund. Durch die Lichtkegel der Straßenlampen zog leichter Rauch. Aus dem nachtdunklen Himmel regnete es Funken, während in regelmäßigen Abständen Töne zu hören waren, die wie dumpfe Gewehrschüsse oder ein weit entferntes Feuerwerk klangen. Am Horizont flackerten immer wieder orangefarbene und gelbe Flammen empor, ohne dass zu sehen gewesen wäre, was da gerade brannte.
    Diane schwang die Füße auf den Boden und setzte sich auf. Sie versuchte immer noch, einen klaren Kopf zu bekommen. »Oh Gott«, flüsterte sie. In den meisten Häusern an der Straße dort unten wohnten Studenten der Bartram-Universität. Als sie auf ihren Wecker schaute, merkte sie, dass dieser am Ende seines Kabels neben ihrem Nachttischchen hing. Als sie ihn an seinen alten Platz zurückstellte, wechselte die beleuchtete Digitalanzeige gerade von 03.06 auf 03.07.
Explosion. Es muss eine Explosion gegeben haben. Das hat mich aufgeweckt.
    Diane wollte gerade nach dem Telefon greifen, als sie aus der Ferne Sirenen hörte. Sie zog die Hand zurück. Garnett, der Chef der örtlichen Kriminalpolizei, würde sie schon anrufen, wenn man sie brauchte. Sie gehörte nicht zu den sogenannten »Erstversorgern«. Wie die Gerichtsmediziner und Leichenbestatter rief man die forensischen Anthropologen und Kriminaltechniker erst ganz zuletzt – wenn nur noch die Toten zu versorgen waren.
    Einige Augenblicke lang saß sie auf der Bettkante und beobachtete das Feuer. Sie überlegte kurz, ob sie sich wieder ins Bett legen und noch ein paar Stunden schlafen sollte, nahm dann aber doch eine Dusche. Wenn der unvermeidliche Anruf erfolgte, wollte sie fit sein. Dazu waren eine Dusche und ein starker Kaffee wahrscheinlich nützlicher als ein weiterer, sicherlich nur recht unruhiger Schlaf.
    Statt eines Anrufs klopfte plötzlich jemand an die Wohnungstür. Diane schlüpfte aus der Dusche, warf einen Bademantel über und eilte durch das Wohnzimmer.
    »Wer ist da?«, rief sie.
    Durch die Tür war eine aufgeregte und doch zögerliche weibliche Stimme zu hören. »Miss Fallon? Wir sind die Nachbarn aus der Wohnung über Ihnen.«
    Diane öffnete die Tür. Vor ihr standen ein junger Mann mit seiner schwangeren Frau, beide in dunkelblauen Parkas und mit Strickmützen über den Ohren.
    Diane, die unter ihrem Bademantel immer noch tropfnass war, versuchte, sich an ihre Namen zu erinnern, richtig, Leslie und Shane. Sie wohnten schon seit einigen Wochen hier, aber Diane hatte immer noch nicht ihre Bekanntschaft gemacht. Sie hatte deswegen jetzt fast ein schlechtes Gewissen. Ein kalter Luftzug aus dem Treppenhaus ließ sie frösteln.
    »Hallo«, sagte sie und schaute auf Leslies dickes Bäuchlein. »Müssen Sie ins Krankenhaus?«
    »Nein.« Beide schüttelten den Kopf. »Wir wollen uns nur vergewissern, dass jeder die Evakuierungsanordnung gehört hat. Die Polizei fährt die Straße auf und ab und verkündet per Lautsprecher, dass alle dieses Gebiet verlassen müssen. Es hat da so eine chemische Explosion gegeben.« Die junge Frau stützte ihren Bauch, während sie sprach.
    »Oh mein Gott«, sagte Diane. »Vielen Dank. Das ist sehr freundlich von Ihnen. Ich war unter der Dusche und habe überhaupt nichts …«
    Sie hielt mitten im Satz inne, als plötzlich die Tür auf der anderen Seite des Treppenhauses aufgerissen wurde und Veda und Marvin Odell aus der Wohnung gegenüber herausstürzten und mit einem Koffer in der Hand die Treppe hinuntereilten, ohne anzuhalten oder sie auch nur eines Blickes zu würdigen.
    Diane und das junge Paar schauten dem fliehenden Ehepaar nach. Vedas altmodischer Kaninchenpelzmantel flatterte hinter ihr her, als ob das Tier noch lebendig wäre und sie regelrecht vor sich hertreiben würde. Diane war froh, dass die exzentrischen Odells trotz ihres lebhaften Interesses an allem, was mit dem Tod zu tun hatte, und ihrem Spaß an
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