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Auf der Straße nach Oodnadatta

Auf der Straße nach Oodnadatta

Titel: Auf der Straße nach Oodnadatta
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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kompetenten korrupt.«
    Er schüttelte den Kopf. »Mensch, bin ich froh, dass ich das Leben nicht mit deinen Augen sehe.«
    »Das kommt schon noch. Du bist nur noch nicht alt genug dafür.«
    »Und wie alt ist diese Schwester von dir?«, fragte Eliot, als sie die Treppe hinunterliefen. »Wie heißt sie gleich?«
    »Perri Stavros. Siebenundzwanzig. Sie ist meine kleine Schwester, ich habe sie aufgezogen, nachdem unsere Eltern bei einem Eisenbahnunglück ums Leben gekommen waren.«
    »Und was genau ist jetzt mit ihr passiert?«
    »Keine Ahnung«, sagte Dee. »Und wenn sie es uns gesagt hat, werden wir es vermutlich immer noch nicht wissen.«
    »Na wunderbar«, bemerkte Eliot unfroh.
    Sie traten hinaus auf die Straße, in das blassgrüne Licht unter den Bäumen. Es waren meist junge Bäume, zum Teil noch Schösslinge und kaum größer als Zweige. Dieser Distrikt von Queens wurde erst seit sechs Jahren, seit der Krise, bepflanzt, und es gab keine ausgewachsenen Bäume wie in den wohlhabenderen Stadtteilen, die die ihren umgehend von weiß Gott wo importiert hatten. Die Bäume wurzelten in Löchern, die Pressluftbohrer in den brüchigen Gehsteig geschlagen hatten, in Spalten neben morschen Veranden und in Kübeln, wo sie blieben, bis sie groß genug waren, um sie anderswo einzupflanzen. Eine ganze Reihe kämpfte nun direkt auf der Straße ums Überleben, wo man jetzt, da sich ohnehin kaum jemand mehr ein Auto leisten konnte, die Fahrbahn auf eine Spur verengt hatte. Es handelte sich ausnahmslos um rasch wachsende Bäume – Pappeln, Espen und dreieckblättrige Pappeln –, obwohl heutzutage alle Bäume (und alles sonst, was grün war) schnell wuchs. Und wann immer möglich wählte man Bäume mit großen Blättern für ein Maximum an Photosynthese, um ein Maximum an Kohlendioxid aus der stickigen, überhitzten Luft zu entfernen.
    »Heute geht es halbwegs«, bemerkte Eliot, »man kann einigermaßen atmen.«
    »Nicht mehr lange, wenn wir keinen Regen bekommen«, sagte Dee. Genug Wasser, das war stets die große Sorge. Wird es heute regnen? Findest du nicht, dass es sich ein wenig eintrübt? Vielleicht könnte es morgen regnen? Wasser bedeutete ein Anwachsen der Biomasse und damit die Chance für die Menschheit, die Kontrolle über den atmosphärischen O 2 /CO 2 -Kreislauf wiederzuerlangen und über den Wert, der sich so gefährlich 1 Prozent CO 2 näherte – der absoluten Grenze dessen, was für den Menschen noch atembar war.
    »Es wird regnen«, erklärte Eliot. »Setz dir die Maske auf, Dee, wir sind gleich bei der U-Bahn. Eine Frage noch: weißt du wenigstens, mit welcher Art von illegalen Gütern deine Schwester erwischt wurde?«
    »Nein«, antwortete Dee, »aber es fällt ja alles in die Kategorie Verbrechen, oder?«
    »Es gibt solche Verbrechen und solche«, stellte Eliot fest und zog sich die Maske über.
     
    Man hatte Perri mit Schmuggelgut der Klasse zwei ertappt, worauf fünf bis zehn Jahre standen.
    »Aber es gibt mildernde Umstände«, sagte Perri und sah Eliot mit einem flehenden Blick an. Eliot nickte nur wie betäubt.
    Aber Dee war an Perris Wirkung auf Männer gewöhnt. Selbst in diesem stinkenden, heißen – Gott, war es heiß! Und erst Anfang Juni! –, fensterlosen Vernehmungszimmer und obwohl sie selbst schmutzig war und übel roch, überstrahlte Perris Schönheit alles: der vollkommene Körper, die langen, langen Beine, das dichte honigfarbene Haar und die vollen Lippen. Aber es waren die Augen, die noch jeden geschafft hatten: Blaugrün, größer als alle menschlichen Augen, in die Dee je geblickt hatte, eingerahmt von langen, dunklen Wimpern, funkelten Perris Augen und veränderten sich von einer Sekunde zur nächsten; nur ihr sanftmütiger Ausdruck blieb immerzu der gleiche. Wie konnte Perri nur, mit dem Leben, das sie führte, diesen sanftmütigen Ausdruck beibehalten? Dee verstand es nicht, hatte es nie verstanden.
    Eliot sagte – mit nicht ganz sachlich-professioneller Stimme: »Sie sollten mir vielleicht die ganze Geschichte von Anfang an erzählen, Miss Stavros.«
    »Nennen Sie mich Perri, bitte.« Sie legte die Hand auf seinen Arm. »Sie werden mir helfen, nicht wahr, Eliot?« Es war eine impulsive, ehrliche Geste. Sie gab Eliot den Rest.
    »Es kommt alles wieder in Ordnung, Perri«, sagte er und Dee schnaubte. Nein, kommt es nicht. Diesmal nicht! Diesmal hatte Perri sich wahrscheinlich zu tief eingebuddelt, als dass Dee – oder Eliot – sie wieder hätte herausziehen können. Nein, lieber
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