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Auf der Straße nach Oodnadatta

Auf der Straße nach Oodnadatta

Titel: Auf der Straße nach Oodnadatta
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Wills, die unter unglaublichen Strapazen und oftmals dem Tod nahe als erste den Kontinent in Süd-Nord-Richtung durchquert hatten, wurden die Ehren des Empire zuteil. Zwar wurden schon damals einige Stimmen laut, die trotz des Erfolges Burkes Führungsqualitäten infrage stellten und meinten, es wäre nur überaus glücklichen Umständen zu verdanken gewesen, dass das Unternehmen nicht gescheitert sei, aber sie konnten nichts an der Hochachtung, die den Entdeckern entgegengebracht wurde, ändern.
    Das weitere Schicksal von Burke war leider sehr tragisch. Nachdem sich die Begeisterung über seine Bravourtat etwas gelegt hatte, zog er sich auf seine Farm in der Nähe von Adelaide zurück und lehnte jedes Angebot eines öffentlichen Amtes ab. Nicht lange, und es kamen die ersten Gerüchte, die Zweifel an seiner geistigen Gesundheit laut werden ließen, auf. Er beschäftigte sich angeblich mit der Konstruktion eigenartiger Fahrzeuge, aus denen niemand klug wurde und behauptete, diese würde es in England schon lange geben. Am Ende lachten ihn die Leute aus und er starb, längst in Vergessenheit geraten, am 21. Oktober 1883 im Irrenhaus von Adelaide.
    Wills reiste mehrere Jahre durch die Städte Australiens und versuchte aus seiner Berühmtheit Kapital zu schlagen, was aber nicht recht gelang, denn in den folgenden Jahren brach eine Vielzahl von Entdeckern ins Innere des Kontinents auf, die mit immer neuen Nachrichten aus unbekannten Gebieten zurückkamen. Auch Wills fühlte sich zu neuen Taten berufen und schloss sich 1874 der Expedition von John Forrest an, die von Geraldon aus die großen Wüsten Westaustraliens nach Adelaide durchquerte. Er starb am 13. Juni 1874 in einer Auseinandersetzung mit feindlich gesonnen Aboriginals.
     
    Wenn es einen Beweis für meine Erlebnisse gab, dann stand er hier. Burke und Wills waren nach Melbourne zurückgekehrt. King war wohl zu unwichtig gewesen, um an dieser Stelle Erwähnung zu finden. Ich faltete die Karte wieder zusammen, trug sie zur Kasse und bezahlte. Dann ging ich direkt in die danebenliegende Bar und ließ mir eine eiskalte Dose Thoohey Red geben. Noch bevor der Barkeeper mein Wechselgeld vor mir auf den Tresen gelegt hatte, war die Dose nur noch ein leeres, unnützes Ding. Ich bestellte eine weitere, und während ich darauf wartete, fiel mein Blick auf die Reproduktion eines alten, verblichenen Fotos, sepiabraun, das an der Wand zwischen den Schnapsflaschen hing. Unzweifelhaft zeigte es den Dig Tree. Davor brannte ein Lagerfeuer. Um das Feuer herum standen fünf Männer, die untypisch für die Zeit nicht bemerkt hatten, dass sie fotografiert worden waren. Deutlich waren Burke, Wills und King zu erkennen, wie sie gestern noch vor mir gestanden hatten. Und natürlich Brahe und Wright. Ich musste nicht lange nachdenken, wie dieses Bild entstanden war. Es war im Jahre 1861 mit einer Kamera des einundzwanzigsten Jahrhunderts aufgenommen worden.
    Als der Barkeeper die neue Bierdose vor mich hinstellte, fragte ich nicht nach dem Bild, sondern trug sie zu einem der Resopaltische und setzte mich auf einen Stuhl. Mit einer Zigarette in der einen und der Bierdose in der anderen Hand starrte ich vor mich hin und ließ mir den Text auf der Karte noch einmal durch den Kopf gehen. Er unterschied sich, soweit ich das beurteilen konnte, nur in Bezug auf das weitere Schicksal von Burke und Wills, nachdem ich sie gerettet hatte. Ich selbst wurde mit keinem Wort erwähnt. Kein Hinweis auf einen unheimlichen Unbekannten. Und bis auf ein Denkmal hatte sich die Welt nicht verändert. Das Schicksal des Einzelnen ist so wichtig wie ein Sandkorn am Strand, dachte ich resigniert. Aber warum das alles? Ich ließ meinen Blick durch die Bar gleiten. Alles sah so aus wie in jeder beliebigen Bar im Outback Australiens. Trotzdem zweifelte ich, ob ich mich wirklich wieder in der Welt befand, die ich gestern verlassen hatte.
     
    Copyright © 2001 by Florian Marzin
    Originalveröffentlichung
    Mit freundlicher Genehmigung des Autors
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