Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf der Straße nach Oodnadatta

Auf der Straße nach Oodnadatta

Titel: Auf der Straße nach Oodnadatta
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
Vom Netzwerk:
immerzu so rasch wie möglich loswerden, ob das nun recht und billig ist oder nicht. Du musst das doch wissen, Dee.«
    »Ja, ich weiß das. Aber wenn das Schiff gefunden wird, würde es Perri bei einer Berufung helfen.«
    »Richtig. Doch sie werden es nicht finden, Dee.«
    »Nein«, sagte sie. »Ich werde es finden.«
     
    DIE KÜSTE VON CAROLINA IST DAS NEUE FLORIDA!, plärrte es von elektronischen Spruchbändern über dem Bahnhof. Dee glaubte es gern: Man ruiniert einen ganzen Landstrich, macht ihn so heiß, dass die Ökologie zum Fürchten Anlass gibt, und schon sehen sich die Leute nach einer anderen Gegend um. Florida bestand jetzt zum Großteil aus echtem Dschungel, in dem es von exotischen Pflanzen und Tieren wimmelte, die irgendwann einmal aus dem internationalen Flughafen Miami – dem Hauptzentrum für derartige Importe – entkommen waren. Affen, Kaimane, tropische Farne, Alligatoren und Insekten, die alles nur Vorstellbare übertrugen, von Dengue-Fieber bis zu Krankheiten, die noch gar keinen Namen hatten (einige davon selbstverständlich aus Gentechnik-Labors stammend). Es waren die Krankheiten, die letzten Endes die Rentner von West Palm Beach, die jugendliche Spaßgesellschaft von South Beach und die Unterwelt von Miami ein Stück weiter nach Norden getrieben hatten.
    Dee nahm ein billiges Motelzimmer, weitab vom hektischen Getriebe, und ging einkaufen. Menschen mit einschlägiger Erfahrung erkannten Polizisten auf den ersten Blick. Auch Ex-Polizisten. Also kaufte Dee einen sittsamen Badeanzug, der zumindest die Brustwarzen bedeckte, und dazu einen losen, hauchdünnen Bademantel, um ihren vierundvierzigjährigen Körper darin zu verstecken. Nach einem kurzen Studium der ansässigen Weiblichkeit kaufte sie etwas, das ihr garantierte, auch ihr Haar in eng anliegenden, sorgfältig gemeißelten Ringen an einer Seite ihres Nackens zusammenzukleben. Aber sie hütete sich vor Übertreibungen, einem klassischen Fehler vieler Bullen, die verdeckt arbeiteten: ihr Lippenstift war nicht zu golden, das Make-up der Augen nicht zu blau. Die Strandtasche, Sandalen und den Musikwürfel kaufte sie in einem Second-Hand-Laden. So sah sie ganz brauchbar aus.
    Es stellte sich heraus, dass der lange Strand aus weißem Sand – natürlichem und künstlichem – praktisch in streng getrennte Abschnitte aufgeteilt war: der Schwulenstrand, der Rentnerstrand, der Kinderstrand, der Sex-and-Crime-Strand. »Ich bin auf der Suche nach Betsy Jefferson«, erklärte Dee dem Barkeeper in der ersten Strandbar, an der sie vorbeikam.
    Der Mann war gerade dabei, Gläser einzusammeln. Er sah aus, als würde er schon sehr lange hinter der Theke stehen. »Was wollen Sie denn von Betsy?«
    »Ich muss mit ihr reden. Wissen Sie, wo sie ist?«
    »Nein. Zuletzt hieß es, sie würde für ihren Onkel arbeiten.«
    Natürlich. Das war immerzu die Antwort Nummer eins, die Bullen zu hören bekamen: Frag jemanden, wie er – oder irgendjemand sonst – seinen Lebensunterhalt bestreitet, dann heißt es, er arbeitet für seinen Onkel. Die ganze Unterwelt war ohne Ausnahme bei ihrem Onkel beschäftigt.
    »Also«, sagte Dee, »eigentlich suche ich Perri Burr. Ich bin ihre Schwester.« Perri hatte »Burr« als »Strandpseudonym« benutzt.
    Der Barkeeper kniff die Augen zusammen und betrachtete Dee. »Mhmmm … Sie sehen ihr sogar ein wenig ähnlich«, sagte er; er war entweder herzensgut oder blind. »Ja, so um die Nase herum. Also gut. Betsy arbeitet im Adams. Drüben in der Surf Street.«
    »Vielen Dank.« Adams. Burr. Jefferson. VIPs aus dem achtzehnten Jahrhundert als Decknamen für Punks aus dem einundzwanzigsten. Dee fragte sich, ob sie überhaupt wussten, wer die Originale gewesen waren.
    Das Adams war ein Cocktailclub mit Sexshows, der überhaupt erst um Mitternacht aufmachte. Dee kehrte in ihr Motel zurück und kaufte auf dem Weg dorthin ein billiges e-Kleid, dessen Schimmereffekte sich auf die strategisch interessanten Stellen des Körpers konzentrierten. Im Motel legte sie sich schlafen.
    Um ein Uhr morgens begann Betsy Jefferson mit ihrem Auftritt. Sie war älter als Perri, und als sie da unten auf der Bühne ihr schlaffes Fleisch kreisen ließ – in Szenen, die widerlicher waren als alles, was Dee in ihrer Laufbahn bei der Sittenpolizei untergekommen war –, wirkte sie noch älter. Dee schaltete ihr Kleid auf kompletten Sichtschutz und versuchte, sich Perri auf dieser Bühne vorzustellen. Es gelang ihr nicht. Eliot hatte Recht: Perris
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher