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Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Titel: Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend
Autoren: Ernst Jünger
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nicht sie das ewige Pendel, das die Zeiger vorwärtstreibt, sei es bei Tage, sei es in der Nacht? Also begannen wir, von Macht und Über- macht zu träumen und von den Formen, die sich kühn geordnet im tödlichen Gefecht des Lebens aufeinander zubewegen, sei es zum Untergange, sei es zum Triumph. Und wir studierten sie mit Lust, wie man die Ätzungen betrachtet, die eine Säure auf den dunklen Spiegeln geschliffener Metalle niederschlägt. Bei solcher Neigung war es un- vermeidlich, daß Mauretanier sich uns näherten. Wir wurden durch den Capitano, der den großen Aufstand in den Iberischen Provinzen erledigt hatte, eingeführt.
     Wer die Geschichte der geheimen Orden kennt, der weiß, daß sich ihr Umfang schwierig schätzen läßt. Desgleichen ist die Fruchtbarkeit bekannt, mit der sie Zweige und Kolonien bilden, so daß man, wenn man ihren Spuren folgt, sich bald in einem Labyrinth verliert. Das traf auch für die Maure- tanier zu. Besonders seltsam war es für den Neuling, wenn er in ihren Räumen Angehörige von Gruppen, die sich tödlich haßten, im friedlichen Gespräche sah. Zu den Zielen der Mauretanier zählte auch die ar- tistische Behandlung der Geschäfte dieser Welt. Sie verlangten, daß die Macht ganz ohne Leidenschaft und göttergleich gehandhabt würde, und entspre- chend sandten ihre Schulen einen Schlag von kla- ren, freien und stets fürchterlichen Geistern aus. Gleichviel, ob sie innerhalb des Aufruhrs oder an der Ordnung tätig waren — wo sie siegten, siegten sie als Mauretanier, und das stolze „Semper victrix” dieses Ordens galt nicht seinen Gliedern, sondern seinem Haupte, der Doktrin. Mitten in der Zeit und ihren wilden Läufen stand er unerschütterlich, und in seinen Residenzen und Palästen setzte man den Fuß auf festen Grund.
     Doch es war nicht der Genuß der Ruhe, was uns gerne dort verweilen ließ. Wenn der Mensch den Halt verliert, beginnt die Furcht ihn zu regieren, und in ihren Wirbeln treibt er blind dahin. Bei den Mauretaniern aber herrschte unberührte Stille wie im Zentrum des Zyklons. Wenn man in den Abgrund stürzt, soll man die Dinge in dem letzten Grad der Klarheit wie durch überschärfte Gläser sehen. Die- sen Blick, doch ohne Furcht, gewann man in der Luft der Mauretania, die von Grund auf böse war. Gerade, wenn der Schrecken herrschte, nahm die Kühle der Gedanken und die geistige Entfernung zu. Bei den Katastrophen herrschte gute Laune, und man pflegte über sie zu scherzen wie die Pächter einer Spielbank über die Verluste ihrer Klientel.
     Damals wurde es mir deutlich, daß die Panik, deren Schatten immer über unseren großen Städten lagern, ihr Pendant im kühnen Übermut der Weni- gen besitzt, die gleich Adlern über dumpfem Leiden kreisen. Einmal, als wir mit dem Capitano tranken, blickte er in den betauten Kelch wie in ein Glas, in dem vergangene Zeiten sich erschließen, und meinte träumend: „Kein Glas Sekt war köstlicher als jenes, das man uns an die Maschinen reichte in der Nacht, da wir Sagunt zu Asche brannten.” Und wir dachten: Lieber noch mit diesem stürzen, als mit jenen leben, die die Furcht im Staub zu kriechen zwingt.
     Doch ich schweife ab. Bei den Mauretaniern konnte man die Spiele lernen, die den Geist, den nichts mehr bindet, und der selbst des Spottes müde wurde, noch erfreuen. Bei ihnen schmolz die Welt zur Karte ein, wie man sie für Amateure sticht, mit Zirkelchen und blanken Instrumenten, die man mit Genuß berührt. Daher schien es sonderbar, daß man in diesem hellen, schattenlosen und abstrak- testen der Räume auf Figuren wie den Oberförster stieß. Dennoch werden immer, wenn der freie Geist sich Herrschafts-Sitze gründet, auch die Auto- chthonen sich ihm zugesellen, wie die Schlange zu den offenen Feuern kriecht. Sie sind die alten Kenner der Macht und sehen eine neue Stunde tagen, die Tyrannis wieder aufzurichten, die seit Anbeginn in ihren Herzen lebt. So entstehen in den großen Orden die geheimen Gänge und Gewölbe, deren Führung kein Historiker errät. So entstehen auch die feinsten Kämpfe, die im Inneren der Macht entbrennen. Kämpfe zwischen Bildern und Gedanken, Kämpfe zwischen den Idolen und dem Geist.
     In solchen Zwisten mußte mancher schon erfah- ren, wo die List der Erde ihren Ursprung hat. So war es auch mir ergangen, als ich, um nach dem verschollenen Fortunio zu suchen, in das Jagdgebiet des Oberförsters eingedrungen war. Seit jenen Ta- gen kannte ich die Grenzen, die dem Übermut ge-
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