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0903 - Der Schattenkelch

0903 - Der Schattenkelch

Titel: 0903 - Der Schattenkelch
Autoren: Oliver Fröhlich
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»Redest du Stück Dreck etwa mit mir?«, fragte Stiernacken und ging einen Schritt auf Albeau zu. Er verschränkte die muskelbepackten Arme vor der voluminösen Brust und stellte sein Sweatshirt dadurch auf eine schwere Belastungsprobe.
    Albeau schluckte.
    »Äh, ich…«, sagte er. Dann schielte er zu den zwei Rotweinflaschen, die neben der Plastiktüte mit all seinen Habseligkeiten standen. Eine davon war so trocken, wie sich seine Kehle im Augenblick anfühlte, und die andere enthielt nur noch einen Schluck, der so winzig war, dass er in den Löchern von Albeaus fünf Zähnen Platz gehabt hätte. Er sah wieder zu Stiernacken und versuchte ein Grinsen, das zu einer jämmerlichen Grimasse missriet.
    Sein Blick irrte über den Platz vor dem Bahnhof Part-Dieu in Lyon und suchte nach Hilfe. Doch da war niemand. Der Tag war gerade erst erwacht und es dauerte noch mindestens eine Stunde, bis sich hier mehr als ein paar vereinzelte Frühaufsteher tummelten. Hätte er nicht so einen grauenhaften Durst gehabt oder wären um diese Tageszeit schon andere Passanten unterwegs gewesen - niemals hätte er Stiernacken angebettelt! Hätte und wären! Könnten Wünsche Durst löschen, müsste er gar nicht mehr schnorren!
    »Äh, ich…«, wiederholte Albeau.
    Stiernacken war nicht gewillt, noch länger auf eine Antwort zu warten. Er schnappte Albeau am Kragen seines ausgeblichenen Parkas, hob ihn ohne erkennbare Mühe hoch und drückte ihn gegen die Wand des Bahnhofsgebäudes.
    »Weißt du, welches Problem Frankreich hat?«, fragte er und schüttelte Albeau so heftig, dass dessen Hinterkopf gegen die Wand knallte. »Leute wie dich!«
    »Tut mir leid«, brachte der Clochard mit zittriger Stimme hervor. »Lässt du mich jetzt wieder runter?«
    »Du sprichst schon wieder mit mir! Kapierst du nicht, dass ich von Dreck wie dir nicht angesprochen werden will?«
    Albeau sagte nichts. Die Angst in seinem Blick wich nackter Panik.
    »Ich hab dich gefragt, ob du das kapierst!«, schrie Stiernacken und schüttelte Albeau noch einmal.
    »Ja«, hauchte Albeau. »Kapiert.«
    »DU SOLLST MICH NICHT ANSPRECHEN!«, plärrte der bullige Kerl und ein Schwall Speicheltröpfchen regnete auf Albeaus Gesicht. Mit der rechten Hand ließ er den Kragen los und packte stattdessen den Hals des Clochards. Dann drückte er zu! »Was muss ich noch tun, dass du aufhörst, mich anzulabern? Hä? Was?«
    Albeau gab ein Röcheln von sich. Er versuchte, die Finger seines Peinigers aufzubiegen, doch ohne Erfolg. Er trat, schlug um sich, kratzte, aber der Druck an seinem Hals ließ nicht nach.
    »Wirst du endlich still sein?«
    Wie durch schlafgetränkte Watte kämpfte sich die Stimme zu seinem Bewusstsein vor. Dann sagte der Schlägertyp noch etwas, doch die Worte gingen in dem Meer aus Sternen unter, die vor Albeaus Augen explodierten. Er wollte weiter treten, weiter schlagen, aber Arme und Beine versagten ihm den Dienst und zuckten nur noch unkontrolliert vor sich hin. Schließlich hörten sie auch damit auf.
    Als wenige Sekunden später sein Blick brach, lag darin noch immer die Frage nach dem Warum.
    ***
    Ohne den Griff zu lockern, betrachtete Frank Tetien den Toten, den er gegen die Wand presste. Scheiße! Eigentlich hatte er den Kerl gar nicht umbringen wollen. Aber hey, er hatte nun mal ein aufbrausendes Temperament. Das hatte ihm sein Bewährungshelfer auch schon oft vorgeworfen.
    »Wenn du nicht bald lernst, dich besser zu beherrschen, wird eines Tages etwas Schlimmes geschehen!«
    Jedes Mal musste Tetien sich diesen oder ähnlichen Mist von diesem Besserwisser anhören. Wie sollte er sich denn besser beherrschen, wenn alle ihn ständig bis aufs Blut provozierten? Er hätte seine Freundin doch nie und nimmer krankenhausreif geprügelt, wenn sie nicht unbedingt noch mal mit ihrem Ex hätte ausgehen wollen. Auch diesen Penner hier hätte er nicht einmal angefasst, wenn der ihn in Ruhe gelassen hätte. Aber nein, der Blödmann musste ihn erst anschnorren und danach anstammeln, als wäre er nicht ganz dicht in der Birne.
    Das hatte der Typ sich alles selbst zuzuschreiben! Außerdem, was machte ein Clochard weniger schon aus? Schade um ihn war's jedenfalls nicht! Aber es stimmte schon: Er musste langsam lernen, sich besser zu beherrschen, bevor noch etwas wirklich Schlimmes geschah.
    Das Gefühl, als würde sich eine Kreissäge durch sein rechtes Handgelenk fressen, riss ihn aus seiner Gedankenwelt. Er stieß einen gellenden Schrei aus.
    Was passierte da mit
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