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Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Titel: Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend
Autoren: Ernst Jünger
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Frühe gerne vor dem Marmor-Becken, in dem wir Wasser-Rosen aus Zipangu zogen, deren Blüten- hüllen der erste Sonnenstrahl mit einem zarten Laute sprengt. Auch im Herbarium hatte ich ein Stühlchen für ihn stehen — er saß dort oft und schaute mir bei der Arbeit zu. Wenn ich ihn still an meiner Seite spürte, fühlte ich mich erquickt, als trügen durch die tiefe, heitere Lebensflamme, die in dem kleinen Körper brannte, die Dinge einen neuen Schein. Auch war es mir, als ob die Tiere seine Nähe suchten — so sah ich immer, wenn ich ihn im Garten traf, die roten Käfer um ihn fliegen, die beim Volke die Frigga-Hähnchen heißen; sie liefen über seine Hände und umspielten ihm das Haar. Sehr seltsam war auch, daß die Lanzen-Ottern auf Lampusas Ruf das Kesselchen im glühenden Geflecht um- ringten, während sie bei Erio die Figur der Strahlen- Scheibe bildeten. Bruder Otho hatte das zuerst bemerkt.
     So war es denn gekommen, daß unser Leben sich von den Plänen, die wir gesponnen hatten, unter-

    schied. Doch merkten wir, daß dieser Unterschied der Arbeit günstig war.

    6.
    Wir waren mit dem Plan gekommen, uns von Grund auf mit den Pflanzen zu beschäftigen, und fingen daher mit der altbewährten Ordnung des Geistes durch Atmung und Ernährung an. Wie alle Dinge dieser Erde wollen auch die Pflanzen zu uns sprechen, doch bedarf es des klaren Sinnes, um ihre Sprache zu verstehen. Wenngleich in ihrem Kei- men, Blühen und Vergehen ein Trug sich birgt, dem kein Erschaffener entrinnt, so ist sehr wohl zu ah- nen, was unveränderlich im Schreine der Erschei- nung eingeschlossen ist. Die Kunst, sich so den Blick zu schärfen, nannte Bruder Otho „die Zeit absau- gen” — doch er meinte, daß die reine Leere diesseits des Todes unerreichbar sei.
     Nachdem wir eingezogen waren, bemerkten wir, daß unser Thema, beinahe gegen unseren Willen, sich erweiterte. Vielleicht war es die starke Luft der Rauten-Klause, die unserem Denken eine neue Richtung gab, gleichwie im reinen Sauerstoff die Flamme steiler und heller brennt. So schien es mir bereits nach kurzen Wochen, als ob die Gegenstände sich veränderten — und die Veränderung nahm ich zunächst als Mangel wahr, insofern als die Sprache mich nicht mehr befriedigte.
     Eines Morgens, als ich von der Terrasse aus auf die Marina blickte, erschienen ihre Wasser mir tiefer und leuchtender, als ob ich sie zum ersten Male mit ungetrübtem Sinn betrachtete. Im gleichen Augen- blicke fühlte ich, fast schmerzhaft, wie das Wort von den Erscheinungen sich löste, so wie die Sehne vom allzu straff gespannten Bogen springt. Ich hatte ein Stückchen vom Iris-Schleier dieser Welt gesehen, und von Stund an leistete die Zunge mir nicht mehr den gewohnten Dienst.
     Doch zog zugleich ein neues Wach-Sein in mich ein. Wie Kinder, wenn das Licht sich aus dem In- neren ihrer Augen nach außen wendet, mit den Hän- den tastend greifen, so suchte ich nach Worten und nach Bildern, um den neuen Glanz der Dinge zu er- fassen, der mich blendete. Ich hatte nie zuvor geahnt, daß Sprechen solche Qual bereiten kann, und dennoch sehnte ich mich nach dem unbefangeneren Leben nicht zurück. Wenn wir wähnen, daß wir eines Tages fliegen könnten, ist der unbeholfene Sprung uns teurer als die Sicherheit auf vorgebahn- tem Weg. So erklärt sich wohl auch ein Gefühl des Schwindels, das mich oft bei diesem Tun ergriff.
     Leicht kommt es, daß auf unbekannten Bahnen uns das Maß verlorengeht. So war es ein Glück, daß Bruder Otho mich begleitete, und daß er behutsam mit mir vorwärtsschritt. Oft, wenn ich ein Wort er- gründet hatte, eilte ich, die Feder in der Hand, zu ihm hinunter, und oft stieg er mit gleicher Botschaft in das Herbarium herauf. Auch liebten wir, Ge- bilde zu erzeugen, die wir Modelle nannten — wir schrieben in leichten Metren drei, vier Sätze auf ein Zettelchen. In ihnen galt es, einen Splitter vom Mosaik der Welt zu fassen, so wie man Steine in Me- talle faßt. Auch bei den Modellen waren wir von den Pflanzen ausgegangen und setzten immer weiter daran an. Auf diese Weise beschrieben wir die Dinge und die Verwandlungen, vom Sandkorn bis zur Marmor-Klippe und von der flüchtigen Sekunde bis zur Jahreszeit. Am Abend steckten wir uns diese Zettel zu, und wenn wir sie gelesen hatten, ver- brannten wir sie im Kamin.
     Bald spürten wir, wie uns das Leben förderte, und wie uns eine neue Sicherheit ergriff. Das Wort ist König und Zauberer zugleich. Wir gingen vom hohen Bei-
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