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Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Titel: Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend
Autoren: Ernst Jünger
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mit jedem Winkelchen vertraut.
     Auch Bruder Otho sah ich oftmals bei der Alten am Feuer stehen. Ihm war das Glück wohl zu ver- danken, das mir mit Erio, dem Kind der Liebe von Silvia, Lampusas Tochter, zuteil geworden war. Wir taten damals bei den Purpur-Reitern Dienst im Feldzug, der den freien Völkern von Alta Plana galt, und der dann scheiterte. Oft, wenn wir zu den Pässen ritten, sahen wir Lampusa vor ihrer Hütte stehen und neben ihr die schlanke Silvia im roten Kopftuch und im roten Rock. Bruder Otho war neben mir, als ich die Nelke, die Silvia aus ihrem Haar genommen und in den Weg geworfen hatte, aus dem Staube hob, und warnte mich im Weiter- reiten vor der alten und vor der jungen Hexe — spöttisch, und mit besorgtem Unterton. Doch mehr verdroß mich noch das Lachen, mit dem Lampusa mich gemustert hatte, und das ich als schamlos kupplerisch empfand. Und doch ging ich in ihrer Hütte bald ein und aus.
     Als wir nach unserem Abschied an die Marina wiederkehrten und in die Rauten-Klause zogen, er- fuhren wir von der Geburt des Kindes und auch davon, daß Silvia es zurückgelassen hatte und mit fremdem Volke davongegangen war. Die Nachricht kam mir ungelegen — vor allem, da sie mich am Be- ginne eines Abschnitts traf, der nach den Plagen der Kampagne den stillen Studien vorbehalten war.
     Daher erteilte ich Bruder Otho Vollmacht, Lam- pusa aufzusuchen, um mit ihr zu sprechen und ihr zuzubilligen, was ihm angemessen schien. Wie sehr erstaunte ich indessen, als ich erfuhr, daß er das Kind und sie sogleich in unseren Haushalt aufge- nommen hatte; und doch erwies sich dieser Schritt sehr bald als für uns alle segensreich. Und wie man eine rechte Handlung insonderheit daran erkennt, daß in ihr auch das Vergangene sich rundet, so leuchtete auch Silvias Liebe mir in einem neuen Licht. Ich erkannte, daß ich sie und ihre Mutter mit Vorurteil betrachtet, und daß ich sie, weil ich sie leicht gefunden, auch allzu leicht behandelt hatte, wie man den Edelstein, der offen am Wege leuchtet, als Glas ansieht. Und doch kommt alles Köstliche uns nur durch Zufall zu — das Beste ist umsonst.
     Freilich bedurfte es, die Dinge so ins Lot zu brin- gen, der Unbefangenheit, die Bruder Otho eigen- tümlich war. Sein Grundsatz war es, die Menschen, die sich uns näherten, wie seltene Funde zu behan- deln, die man auf einer Wanderung entdeckt. Auch nannte er die Menschen gern die Optimaten, um anzudeuten, daß alle zum eingeborenen Adel dieser Welt zu zählen sind, und daß ein jeder von ihnen uns das Höchste spenden kann. Er erfaßte sie als Gefäße des Wunderbaren und erkannte ihnen als hohen Bildern Fürsten-Rechte zu. Und wirklich sah ich alle, die ihm nahe kamen, sich entfalten wie Pflanzen, die aus dem Winterschlaf erwachen — nicht daß sie besser wurden, doch sie wurden mehr sie selbst.
     Lampusa nahm sich gleich nach ihrem Einzug der Wirtschaft an. Die Arbeit ging ihr leicht von- statten, und auch im Garten hatte sie keine dürre Hand. Während Bruder Otho und ich streng nach der Regel pflanzten, verscharrte sie die Samen flüchtig und ließ das Unkraut wuchern, wie es ihm gefiel. Und doch zog sie mit leichter Mühe das Dreifache von unseren Saaten und von unserer Frucht. Oft sah ich, wie sie spöttisch lächelnd auf unseren Beeten die ovalen Täfelchen aus Porzellan betrachtete, auf denen Art und Gattung zu lesen war, von Bruder Otho in feiner Etiketten-Schrift gemalt. Dabei entblößte sie wie einen Hauer den letzten großen Schneidezahn, der ihr geblieben war.
     Obwohl ich sie nach Erios Weise Altmutter nannte, sprach sie zu mir fast nur von Wirtschafts- Dingen, und oft recht närrisch, wie Schaffnerinnen tun. Auch Silvias Name fiel niemals zwischen uns. Trotzdem sah ich es ungern, daß Lauretta am andern Abend nach jener Nacht am Walle mich abzuholen kam. Und dennoch erwies sich gerade hier die Alte besonders aufgeräumt und holte eilig Wein, Mor- sellen und süße Kuchen zum Empfang.
     An Erio empfand ich den natürlichen Genuß der Vaterschaft, sowie den geistigen der Adoption. Wir liebten seinen stillen, aufmerksamen Sinn. Wie alle Kinder die Geschäfte nachzuahmen pflegen, die sie in ihrer kleinen Welt erblicken, so wandte er sich früh den Pflanzen zu. Oft sahen wir ihn lange auf der Terrasse sitzen, um eine Lilie zu betrachten, die vor der Entfaltung stand, und wenn sie sich geöffnet hatte, eilte er in die Bibliothek, um Bruder Otho mit der Nachricht zu erfreuen. Desgleichen stand er in der
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