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Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Titel: Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend
Autoren: Ernst Jünger
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spiel des Linnaeus aus, der mit dem Marschallstab des Wortes in das Chaos der Tier- und Pflanzenwelt ge- treten war. Und wunderbarer als alle Reiche, die das Schwert erstritt, währt seine Herrschaft über Blüten- Wiesen und die namenlosen Legionen des Gewürms.
     So trieb auch uns die Ahnung, daß in den Ele- menten Ordnung waltet, an. Auch fühlt der Mensch den Trieb, die Schöpfung mit seinem schwachen Geiste nachzubilden, so wie der Vogel den Trieb zum Nester-Bauen hegt. Was unsere Mühen dann über- reich belohnte, das war die Einsicht, daß Maß und Regel in den Zufall und in die Wirren dieser Erde unvergänglich eingebettet sind. Im Steigen nähern wir uns dem Geheimnis, das der Staub verbirgt. So schwindet in den Bergen mit jedem Schritt, den wir gewinnen, das Zufalls-Muster des Horizontes ein, und wenn wir hoch genug gestiegen sind, umschließt uns überall, wo wir auch stehen, der reine Ring, der uns der Ewigkeit verlobt.
     Wohl blieb es Lehrlings-Arbeit und Buchstabie- ren, was wir so verrichteten. Und doch empfanden wir Gewinn an Heiterkeit, wie jeder, der nicht am Gemeinen haften bleibt. Das Land um die Marina verlor das Blendende, und trat doch klarer, trat more geometrico hervor. Die Tage flossen, wie unter hohen Wehren, schneller und kräftiger dahin. Zuweilen, wenn der Westwind wehte, spürten wir eine Ahnung vom Genuß der schattenlosen Fröhlichkeit.
     Vor allem aber verloren wir ein wenig von jener Furcht, die uns beängstigt, und wie Nebel, die aus den Sümpfen steigen, den Sinn verwirrt. So kam es denn, daß wir die Arbeit nicht im Stiche ließen, als der Oberförster in unserem Gebiet an Macht ge- wann, und als der Schrecken sich verbreitete.

                            7.
    Der Oberförster war uns seit langem als Alter Herr der Mauretania bekannt. Wir hatten ihn auf den Conventen oft gesehen und manche Nacht mit ihm beim Spiel gesessen und gezecht. Er zählte zu den Gestalten, die bei den Mauretaniern zu- gleich als große Herren angesehen und als ein wenig ridikül empfunden werden — so wie man etwa einen alten Oberst der Landwehr-Kavallerie, der hin und wieder von seinen Gütern kommt, beim Regiment empfängt. Er prägte sich im Gedächtnis ein, schon weil sein grüner, mit goldenen Ilex-Blättern be- stickter Frack die Blicke auf ihn richtete.
     Sein Reichtum galt als ungeheuer, und auf den Festen, die er in seinem Stadthaus feierte, regierte Überfluß. Es wurde dort nach alter Sitte derb ge- gessen und getrunken, und die Eichenplatte des großen Spieltischs bog sich unter goldener Last. Auch waren die asiatischen Partien, die er den Adep- ten in seinen kleinen Villen gab, berühmt. So fand ich oft Gelegenheit, ihn nah zu sehen, und mich be- rührte ein Hauch von alter Macht, der ihn von sei- nen Wäldern her umwitterte. Damals empfand ich auch das Starre an seinem Wesen kaum als störend, denn alle Mauretanier nehmen im Lauf der Zeit den automatischen Charakter an. Vor allem in den Blik- ken tritt dieser Zug hervor. So lag auch in den Augen des Oberförsters, besonders wenn er lachte, der Schimmer einer fürchterlichen Jovialität. Sie waren, wie bei alten Trinkern, von einem roten Hauche überflammt, doch lag in ihnen zugleich ein Ausdruck von List und unerschütterlicher Kraft — ja, zu- weilen von Souveränität. Damals war seine Nähe uns angenehm — wir lebten im Übermute und an den Tafeln der Mächtigen der Welt.
     Ich hörte später Bruder Otho über unsere Mau- retanier-Zeiten sagen, daß ein Irrtum erst dann zum Fehler würde, wenn man in ihm beharrt. Das Wort erschien mir um so wahrer, wenn ich an die Lage dachte, in der wir uns befanden, als dieser Orden uns an sich zog. Es gibt Epochen des Niederganges, in denen sich die Form verwischt, die innerst dem Le- ben vorgezeichnet ist. Wenn wir in sie geraten, taumeln wir als Wesen, die des Gleichgewichts er- mangeln, hin und her. Wir sinken aus dumpfen Freuden in den dumpfen Schmerz, auch spiegelt ein Bewußtsein des Verlustes, das uns stets belebt, uns Zukunft und Vergangenheit verlockender. So weben wir in abgeschiednen Zeiten oder in fernen Utopien, indes der Augenblick verfließt.
     Sobald wir dieses Mangels innewurden, strebten wir aus ihm hinaus. Wir spürten Sehnsucht nach Präsenz, nach Wirklichkeit und wären in das Eis, das Feuer und den Äther eingedrungen, um uns der Langeweile zu entziehen. Wie immer, wo der Zwei- fel sich mit Fülle paart, bekehrten wir uns zur Ge- walt — und ist
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