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Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Titel: Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend
Autoren: Ernst Jünger
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zogen sind, und vermied, den dunklen Saum der Forsten zu betreten, die der Alte seinen „Teutoburger Wald” zu nennen liebte, wie er überhaupt in vorge- spielter, schlingenreicher Biederkeit ein Meister war.
    8.
    Als ich nach Fortunio suchte, war ich in den Nord- rand dieser Wälder eingedrungen, während unsere Rauten-Klause unweit ihres Südpunkts lag, der das Burgundische berührt. Bei unserer Rückkehr fanden wir die alte Ordnung an der Marina nur gleich einem Schatten vor. Bis dahin hatte sie fast seit Carolus Zeiten unversehrt gewaltet, denn ob fremde Herren kamen oder gingen, immer blieb das Volk, das dort die Reben zieht, bei Sitte und Gesetz. Auch ließen Reichtum und Köstlichkeit des Bodens ein jedes Regiment sich bald zur Milde wenden, ob es auch hart begann. So wirkt die Schönheit auf die Macht. Der Krieg vor Alta Plana aber, den man führte, wie man gegen Türken kämpft, schnitt tiefer ein. Er heerte gleich einem Frost, der in den Bäumen das Kernholz sprengt, und dessen Wirkung oft erst nach Jahren sichtbar wird. So lief an der Marina das Le- ben im Kreislauf fort. Es war das alte, und war doch zugleich das alte nicht. Zuweilen, wenn wir auf der Terrasse standen und auf den Blütenkranz der Gär- ten blickten, verspürten wir den Hauch versteckter Müdigkeit und Anarchie. Und gerade dann berührte die Schönheit dieses Landes uns bis zum Schmerz. So leuchten, bevor die Sonne scheidet, die Lebens- farben noch gewaltig auf.
     In diesen ersten Zeiten hörten wir vom Oberför- ster kaum. Doch seltsam war es, wie er im gleichen Maße, in dem die Schwächung zunahm und die Wirklichkeit entschwand, sich näherte. Zunächst vernahm man nur Gerüchte, wie eine Seuche, die in fernen Häfen wütet, sich dunkel anzukünden pflegt. Sodann verbreiteten sich Meldungen von nahen Übergriffen und Gewaltsamkeiten, die von Mund zu Munde gingen, und endlich geschahen solche Taten ganz unverhüllt und offenbar. So wie im Bergland ein dichter Nebel die Wetter kündet, ging dem Ober- förster eine Wolke von Furcht voraus. Die Furcht verhüllte ihn, und ich bin überzeugt, daß darin seine Kraft weit mehr als in ihm selbst zu suchen war. Er konnte erst wirken, wenn die Dinge aus sich selbst heraus ins Wanken kamen — dann aber lagen seine Wälder günstig für den Zugriff auf das Land.
     Wenn man die Höhe der Marmor-Klippen er- stieg, war das Gebiet, darin er die Gewalt er- strebte, in seinem vollen Umfang einzusehen. Um auf die Zinne zu gelangen, pflegten wir die schmale Treppe zu erklimmen, die bei Lampusas Küche in den Fels geschlagen war. Die Stufen waren vom Regen ausgewaschen und führten auf eine vor- geschobene Platte, von der man weithin in die Runde sah. Hier weilten wir manche Sonnen-Stunde, wenn die Klippen in bunten Lichtern strahlten, denn wo am blendend weißen Fels die Sickerwässer nagten, da waren rote und falbe Fahnen in ihn eingesprengt. Auch fiel in mächtigen Behängen das dunkle Efeu- Laub von ihm herab, und in den feuchten Schrun- den funkelten die Silberblätter der Lunaria.
     Beim Aufstieg streifte unser Fuß die roten Brom- beer-Ranken und schreckte die Perlen-Echsen auf, die sich grünleuchtend auf die Zinnen flüchteten. Dort wo der fette, mit blauem Enzian gesternte Rasen überhing, waren von Kristallen gesäumte Drusen in den Fels gebettet, in deren Höhlen die Käuzchen träumend blinzelten. Auch nisteten die schnellen, rostbraunen Falken dort; wir schritten so nah an ihrer Brut vorbei, daß wir die Nüstern in ihren Schnäbeln sahen, die eine feine Haut gleich blauem Wachse überzog.
     Hier auf der Zinne war die Luft erquickender als unten im Kessel, wo die Reben im Glaste zitterten. Zuweilen preßte die Hitze einen Windschwall hoch, der in den Schrunden sich melodisch wie in Orgel- pfeifen fing und Spuren von Rosen, Mandeln und Melisse mit sich trug. Von unserem Felsensitze sahen wir das Dach der Rauten-Klause nun tief unter uns. Im Süden, jenseits der Marina, ragte im Schutze seiner Gletscher-Gürtel das freie Berg- land von Alta Plana auf. Oft waren seine Gipfel vom Dunst, der aus dem Wasser stieg, verhüllt, dann wie- der war die Luft so rein, daß wir die Zirbel-Hölzer unterschieden, die dort bis hoch in die Gerölle vor- geschoben sind. An solchen Tagen spürten wir den Föhn und löschten im Haus die Feuer über Nacht.
     Oft ruhte unser Blick auch auf den Inseln der Marina, die wir im Scherz die Hesperiden nannten, und an deren Ufern Zypressen dunkelten. Im streng- sten
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