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Skagboys 01

Skagboys 01

Titel: Skagboys 01
Autoren: Irvine Welsh
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Prolog: Auszüge aus dem Entzugstagebuch
    Journal-Eintrag: Die Sache in Orgreave
    Selbst diese Holzbohle von einer Couch kann nicht verhindern, dass mein Körper in einen erlösenden Schlaf sinkt. Es erinnert mich an mein Zimmer im Studentenwohnheim in Aberdeen: Ich liege im Dunkeln und bade förmlich in dem befreienden Gefühl, diese Angst los zu sein, die sich nachts in meiner Brust ansammelte wie der zähe Schleim in der seinen. Denn ganz gleich, was ich draußen höre – Autos, die nachts durch die engen Gassen der Sozialsiedlung brettern und mit ihren Scheinwerfern in dieses muffige Zimmer leuchten, Besoffene, die die Welt besingen und verfluchen, oder fürchterlich jaulende Katzen beim Liebesspiel –, ich weiß, dass ich diese Geräusche nicht hören muss.
    Kein Husten.
    Kein Schreien.
    Und vor allem nicht dieses Klopfen: Tapp, tapp, tapp …
    Keine besorgt flüsternden Stimmen, an deren Aufgeregtheit du erkennst, ob du diese Nacht noch ein Auge zumachen wirst oder nicht.
    Nur die einlullende, dunkle Stille und diese Holzbohle von einer Couch.
    Kein. Verdammtes. Husten.
    Es fängt nämlich immer mit einem Husten an. Nur einem. Dann versuchst du, ihn mit reiner Willenskraft dazu zu zwingen, sich zu beruhigen – keine Chance. Dein beschleunigter Puls sagt dir, dass du im Unterbewusstsein bereits auf dieses Blaffen gewartet hast. Wenig später folgt das zweite Husten – der schlimmste Moment –, und deine Wut verlagert sich von der Quelle des Hustens hin zu denen, die dem Hustenden zu Hilfe kommen.
    Lasst es doch einfach bleiben, verdammt noch mal!
    Aber klar, durch diese papierdünnen Wände hört man das ganze Theater: erst das erschöpfte Seufzen, dann das Klicken des Lichtschalters und schließlich die nervös trippelnden Schritte.
    Wenig später setzen die Stimmen ein – das leise gemurmelte Bitten und Flehen, die Beruhigungsformeln –, und die Prozedur beginnt: die Lagerungsdrainage und das Abklopfen zur Ableitung des Bronchialsekrets.
    Tapp … tapp … tapp …
    Tapp … tapp … tapp …
    Der fürchterliche Rhythmus der großen Hände meines Vaters, wie sie seinen dünnen, krummen Rücken abklopfen – hartnäckig und kraftvoll. Fast schon brutal. Kein Vergleich zum ängstlich behutsamen Klopfen meiner Mutter. Dazu immer wieder ihr Flüstern, ihre verzweifelten Worte, um ihn zu ermutigen.
    Ich wünschte, sie würden ihn im Krankenhaus lassen. Ihn verdammt noch mal einfach dort lassen. Ich jedenfalls betrete dieses Haus erst wieder, wenn er für immer verschwunden ist. Es ist so wundervoll hier auf dieser Couch, in diesem Hafen der Ruhe, wo ich all das vergessen und Geist und Körper ins Reich des Schlafs gleiten lassen kann.
    »Komm schon, Junge! Hoch mit dir! Na mach schon!«
    Die raue Stimme meines Vaters reißt mich aus dem Schlaf. Mir tut alles weh, meine Gliedmaßen sind steif. Er hat sich über mich gebeugt, guckt grimmig und wedelt mit seiner Zahnbürste herum. Er ist noch nicht komplett angezogen, man kann den blond-grauen Pelz auf seiner Brust sehen. Ich brauche drei ganze Sekunden, um mich zu sammeln – muss die Augen dreimal auf- und zuklappen, bis ich kapiere, dass ich auf der Couch meiner Oma in Cardonald liege. Ich habe mich erst vor ein paar Stunden hingehauen. Eigentlich wäre es noch pechschwarze Nacht, aber mein alter Herr hat die kleine Tischlampe angeknipst, die das Zimmer nun in ein schlappes aquamarinblaues Licht taucht. Ich weiß, dass er recht hat: Wir müssen uns auf den Weg machen, um den Bus am St. Enoch’s Square zu erwischen.
    Ich weiß auch, dass sich alles geben wird, wenn ich erst einmal in Bewegung bin, auch wenn ich etwas zerknittert aussehen mag
    ZUM TEUFEL MIT DIESEM SCHEISS!
    Ich werd schon klarkommen, sobald ich meinen Arsch in Bewegung gesetzt hab, auch wenn ich wie ne verdammte Vogelscheuche ausseh. Zuerst will ich meine Oma aber nach nem Bügeleisen fragen, will die fiesen Falten aus dem navyblauen Fred Perry bügeln, bevor ich es über meinen schmächtigen Körper mit der käseweißen Gänsehaut ziehe. Doch mein alter Herr will davon nichts wissen. »Vergiss das Bügeleisen«, sagt er und wedelt wieder mit seiner Zahnbürste in der Luft herum. Dann verlässt er das Zimmer in Richtung Bad und schaltet an der Tür die Deckenleuchte an. »Das wird heut keine Modenschau. Also gib Gas, Junge!«
    Eigentlich brauch ich seine Antreiberei nich. Das Adrenalin schießt mir durch den Körper und bringt mich auf Touren. Das Spektakel heute werd ich mir auf keinen Fall
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