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Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Titel: Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend
Autoren: Ernst Jünger
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Tiere, das Zeichen des geflammten Feuer-Rades bildend, sich um das Kesselchen und nahmen die Gabe an.
     Bei dieser Spende hielt Lampusa schon früh den kleinen Erio auf dem Arm, der ihren Ruf mit sei- nem Stimmchen begleitete. Wie sehr erstaunte ich indessen, als ich eines Abends, kaum daß es laufen konnte, das Kind das Kesselchen ins Freie schleppen sah. Dort schlug es seinen Rand mit einem Birnholz- Löffel, und leuchtend glitten die roten Schlangen aus den Klüften der Marmor-Klippen vor. Und wie im Helltraum hörte ich den kleinen Erio lachen, als er zwischen ihnen auf dem gestampften Lehm des Küchen-Vorhofs stand. Die Tiere umspielten ihn halb aufgerichtet und wiegten über seinem Scheitel in schnellem Pendelschlage die schweren Dreiecks- Köpfe hin und her. Ich stand auf dem Altan und wagte meinen Erio nicht anzurufen, wie jemand, den man schlafend auf steilen Firsten wandeln sieht. Doch da erblickte ich die Alte vor der Felsen-Küche — Lampusa, die mit gekreuzten Armen lächelte, und es erfaßte mich das herrliche Gefühl der Sicherheit in flammender Gefahr.
     Seit jenem Abend war es Erio, der uns so das Vesper-Glöcklein läutete. Wenn wir den Klang des Kesselchens vernahmen, legten wir die Arbeit nieder, um uns am Anblick seiner Spende zu erfreuen. Bru- der Otho eilte aus seiner Bibliothek und ich aus dem Herbarium auf den inneren Altan, und auch Lam- pusa trat vom Herd hinzu und lauschte dem Kinde mit stolzem, zärtlichem Gesicht. Wir pflegten uns dann an seinem Eifer zu ergötzen, mit dem es die Tiere in Ordnung hielt. Bald konnte Erio ein jedes bei Namen nennen und trippelte mit seinem Röck- chen aus blauem, goldgefaßtem Sammet in ihrem Kreis umher. Auch achtete er sehr darauf, daß alle von der Milch bekamen und schaffte für die Nach- züglerinnen Raum am Kesselchen. Dann pochte er diese oder jene der Trinkerinnen mit seinem Birn- holz-Löffel auf den Kopf, oder er packte sie, wenn sie nicht schnell genug den Platz verließen, am Nacken-Ansatz und zerrte sie mit aller Kraft hinweg. Wie derb er sie indes auch fassen mochte, immer blie- ben die Tiere gegen ihn ganz sanft und zahm, selbst in der Häutung, wo sie sehr empfindlich sind. So lassen während dieser Zeit die Hirten ihr Vieh nicht bei den Marmor-Klippen auf die Weide gehen, denn ein gezielter Biß fällt selbst den stärksten Stier mit Blitzes Kraft.
     Vor allem liebte Erio das größte, schönste Tier, das Bruder Otho und ich die Greifin nannten, und das, wie wir aus Sagen der Wingerts-Bauern schlos- sen, seit alten Zeiten in den Klüften saß. Der Körper der Lanzen-Ottern ist metallisch rot, und häufig sind Schuppen von hellem Messing-Glanze in sein Muster eingesprengt. Bei dieser Greifin war jedoch der reine, makellose Goldschein ausgeprägt, der sich am Kopfe nach Juwelen-Art zugleich ins Grüne wandte und an Leuchtkraft steigerte. Auch konnte sie im Zorn den Hals zum Schilde dehnen, der wie ein goldener Spiegel im Angriff funkelte. Es schien, daß ihr die anderen Respekt erwiesen, denn keine rührte an das Kesselchen, bevor die Goldene ihren Durst gestillt. Dann sahen wir, wie Erio mit ihr scherzte, während sie, wie manchmal Katzen tun, den spitzen Kopf an seinem Röckchen rieb.
     Nach diesem trug Lampusa uns zur Vesper auf, zwei Becher des geringen Weines und zwei Scheiben vom dunklen, salzigen Brot.
    4.
    Von der Terrasse schritt man durch eine Glastür in die Bibliothek. In schönen Morgenstunden stand diese Türe weit geöffnet, so daß Bruder Otho an seinem großen Tische wie in einem Teil des Gartens saß. Ich trat stets gern in dieses Zimmer ein, an dessen Decke grüne, laubige Schatten spiel- ten, und in dessen Stille das Zirpen der jungen Vögel und das nahe Summen der Bienen drang.
     Am Fenster trug eine Staffelei das große Zeichen- brett, und an den Wänden türmten sich bis zur Decke die Bücher-Reihen an. Die unterste von ihnen stand in einem hohen Fache, das für die Folianten zuge- schnitten war — für den großen Hortus Plantarum Mundi und mit der Hand illuminierte Werke, wie man sie nicht mehr druckt. Darüber sprangen die Repositorien vor, die sich durch Schübe noch ver- breitern ließen — mit flüchtigen Papieren und ver- gilbten Herbarien-Blättern überdeckt. Auch nah- men ihre dunklen Tafeln eine Sammlung von in Stein gepreßten Pflanzen auf, die wir in Kalk- und Kohlengruben ausgemeißelt hatten, dazwischen mancherlei Kristalle, wie man sie als Zierat aus- stellt oder auch bei sinnendem Gespräche in
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