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Leopardenblut (German Edition)

Leopardenblut (German Edition)

Titel: Leopardenblut (German Edition)
Autoren: Nalini Singh
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    Sascha Duncan konnte keine einzige Zeile des Berichts entziffern, der über den Bildschirm ihres Pocket Organizers flimmerte. Angst verschleierte ihren Blick und ihre Gedanken entfernten sich aus der nüchternen, effizienten Umgebung des Büros, in dem ihre Mutter arbeitete. Selbst als Nikita einen Anruf entgegennahm, drang deren Stimme kaum an Saschas betäubte Sinne.
    Sie war zu Tode erschrocken.
    An diesem Morgen war sie wimmernd und zusammengerollt wie ein Embryo in ihrem Bett aufgewacht. Normalerweise wimmerten Mediale nicht, sie hatten keine Gefühle und demzufolge zeigten sie auch keine. Aber Sascha hatte schon als Kind gewusst, dass sie nicht normal war. Sechsundzwanzig Jahre lang hatte sie diesen Defekt erfolgreich verborgen, doch nun lief irgendetwas schief. Sehr schief sogar.
    Ihr Verstand verfiel dermaßen schnell, dass sich schon körperliche Nebenwirkungen bemerkbar machte n – Muskelkontraktionen, Zittern, ein beschleunigter Puls und immer wieder unkontrolliert aufsteigende Tränen überkamen sie nach diesen Träumen, an die sie sich nie erinnern konnte. Bald würde es unmöglich sein, die Risse in ihrem Verstand noch länger zu verbergen, und dann würde man sie im Zentrum einsperren. Natürlich nannte es niemand Gefängnis, der Fachausdruck war „Rehabilitationsanstalt“. Dorthin sonderten die Medialen äußerst effizient und brutal die Schwachen in ihren Reihen aus.
    Wenn sie im Zentrum mit ihr fertig waren, wäre sie mit etwas Glück nur noch eine sabbernde Masse ohne jeden Verstand. Und wenn sie Pech hatte, blieben ihr lediglich genügend Denkstrukturen übrig, um irgendwo in der weitverzweigten Unternehmenswelt der Medialen als Drohne zu dienen, als Maschine mit gerade noch genügend neuronalen Aktivitäten, um die Post zu sortieren oder die Böden zu fegen.
    Saschas Hand schloss sich fester um den Organizer und sie kehrte in die Gegenwart zurück. Wenn es einen Ort gab, an dem sie nicht zusammenbrechen durfte, dann hier in diesem Zimmer vor den Augen ihrer Mutter. Sascha war zwar ihr eigen Fleisch und Blut, aber Nikita Duncan gehörte auch dem Rat der Medialen an. Sascha wusste nicht, ob sie am Ende nicht doch ihre Tochter opfern würde, um den Sitz im mächtigsten Gremium der Welt zu behalten.
    Mit verbissener Entschlossenheit machte Sascha sich daran, die verborgenen Winkel ihres Verstandes mit stärkeren Schutzschilden zu versehen. Wenigstens darin war sie immer besser als alle anderen gewesen, und als ihre Mutter das Gespräch beendete, strahlte Sascha etwa so viel Gefühl aus wie eine aus arktischem Eis gehauene Skulptur.
    „In zehn Minuten haben wir eine Besprechung mit Lucas Hunter. Bist du bereit?“ Nur nüchternes Interesse stand in Nikitas mandelförmigen Augen.
    „Natürlich, Mutter.“ Sascha zwang sich, diesem Blick standzuhalten, und schob den Gedanken beiseite, ob ihre Augen wohl genauso viel verbargen wie die ihrer Mutter. Zum Glück hatte sie, im Gegensatz zu Nikita, die nachtschwarzen Augen einer Kardinalmediale n – unergründlich wie der Nachthimmel und übersät mit klitzekleinen weißen Sternen, in denen kaltes Feuer funkelte.
    „Hunter ist ein Alphatier der Gestaltwandler, also unterschätze ihn bloß nicht. Er denkt wie ein Medialer.“ Nikita wandte sich ab und ließ den flachen, in der Tischplatte versenkten Bildschirm hochfahren.
    Sascha rief die relevanten Daten in ihrem Organizer auf. Das kleine Gerät enthielt alles Notwendige für die Besprechung und sie konnte es bequem in der Jackentasche verschwinden lassen. Wenn Lucas Hunter sich ebenso wie andere seiner Rasse verhielt, dann würde er von allem einen Ausdruck dabeihaben.
    Ihren Informationen nach hatte Hunter mit dreiundzwanzig die alleinige Führungsrolle im DarkRiver-Leopardenrudel übernommen. In den folgenden zehn Jahren war das Rudel zur mächtigsten Raubtiergruppe in San Francisco und Umgebung aufgestiegen. Gestaltwandler von außerhalb, die hier lebten, arbeiteten oder sich auch nur kurz aufhalten wollten, mussten bei den DarkRiver-Leoparden eine Erlaubnis einholen. Taten sie das nicht, traten die Territorialgesetze der Leoparden in Kraft, mit brutalen Folgen für die Betroffenen.
    Etwas hatte Sascha bei der ersten Durchsicht der Unterlagen in Erstaunen versetzt: Die DarkRiver-Leoparden hatten einen Nichtangriffspakt mit dem SnowDancer-Wolfsrudel geschlossen, das im übrigen Kalifornien herrschte. Diese Tatsache hatte in Sascha Zweifel am zivilisierten Bild der DarkRiver-Leoparden geweckt,
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