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Aschenwelt

Aschenwelt

Titel: Aschenwelt
Autoren: Timon Schlichen Majer
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Jemand kann nur Anne sein. Aber so sehr ich sie mir auch vorstelle und sie mir herbeiwünsche – sie kommt nicht.
    Und erst jetzt wird mir in vollem Umfang bewusst, was ich verloren habe. Anne war ein Teil meines Lebens, ein Teil von mir. Jemand hat sie aus mir herausgerissen. Und es wird ewig dauern, bis die Wunde heilt. Vielleicht tut sie das nie. Ich umfliege das Windrad und betrachte es von allen Seiten. Oh ja. Es würde Anne gefallen. Sehr sogar. Vielleicht sieht sie es? Von dort, wo sie nun ist? Gibt es einen Himmel? Ich lehnte diese Vorstellung immer ab. Kindisch und albern. Doch nun ertappe ich mich dabei, wie ich mir doch wünsche, Anne würde in so etwas wie einem Himmel, einem Paradies sitzen, wo es ihr gut geht, von wo sie mich beobachten und auf mich aufpassen kann. Ich lege meine Hand auf mein Herz. Dort drin wird sie ewig weiterleben.
    Ich parke mein Fluggerät auf einem besonders großen Grünstreifen, der vor dem schönsten Haus liegt, das ich für mich auserkoren habe. Ich werde dich wiedersehen, sage ich zum Himmel hinauf. Ich verspreche es dir.
    Es ist Zeit, zurückzukehren. Zurück in die Realität.
    Ich schlug die Augen auf und blickte direkt in das lächelnde Gesicht Uschasniks.
    Â»Du hast sie gefunden«, sagte er.
    Ich zog eine verständnislose Grimasse.
    Â»Ich hab es deinem Gesicht angesehen. Während du meditiert hast. Du hast deine neue Welt gefunden, deinen neuen sicheren Ort. Habe ich recht?«
    Ich zuckte mit den Schultern und erhob mich. Ich wollte nicht mit ihm reden. Es war mir ziemlich unangenehm, dass er mich Gott weiß wie lange beobachtet hatte, während ich in meiner Welt war. Ich ging zur Tür, die inzwischen immer offen war, zu jeder Zeit. Der Hausmeister hatte vor einigen Tagen auch von innen eine Türklinke angebracht. Ich war nicht mehr eingesperrt. Aber immer noch nicht entlassen.
    Â»Johanna, bitte warte einen Moment«, sagte Uschasnik in meinem Rücken.
    Ich drehte mich zu ihm um, schwieg aber weiterhin.
    Â»Diese neue Welt ist ein großer Fortschritt, aber noch nicht das eigentliche Ziel. Trotzdem glaube ich, dass du bald soweit bist, diese Klinik zu verlassen.«
    Â»Mhm«, machte ich.
    Â»Aber ich hätte noch gerne ein vorläufiges Abschlussgespräch mit dir geführt.«
    Â»Schießen Sie los, damit wir’s hinter uns bringen«, sagte ich kurz angebunden.
    Uschasnik seufzte auf. »Ich wollte dieses Gespräch heute nur ankündigen. Vielleicht morgen? Würde dir das passen?«
    Â»Nein. Wenn, dann jetzt sofort.« Ich setzte mich zurück auf mein Bett und wartete, bis er mit seinem Vortrag durch war.
    Er erzählte mir etwas von einem neuen Lebenskonzept, das ich nun entwickeln sollte. Gerne mit seiner Hilfe.
    Â»Ich schaffe das alleine«, sagte ich. »Danke fürs Angebot.«
    Â»Du weißt, dass du nie wieder irgendwelche Drogen, welcher Art auch immer, anrühren solltest. Dein ganzes Leben lang nicht.«
    Ich nickte.
    Â»Die Gefahr ist zu groß, dass du wieder rückfällig wirst.«
    Ich nickte abermals und verlegte mich darauf, dies auch fortan nach jedem seiner Sätze zu tun. Umso schneller kämen wir zum Schluss.
    Â»Aus was schöpfst du nun Kraft?«
    Hier konnte ich nicht nicken. »Aus meiner Kunst.«
    Â»Das ist gut. Das ist gut.« Er schenkte mir ein Lächeln und fuhr fort: »Kraft schöpfst du auch aus deiner neuen Innenwelt. Wenn du willst, kannst du diese neue Welt immer weiter ausbauen. Sie ist der sichere Ort, in den du dich immer zurückziehen kannst, wenn es dir schlecht geht. Oder wenn dich zum Beispiel die Trauer um Anne wieder einmal übermannt. Allerdings würde ich mich freuen, wenn du sie immer weniger brauchst. Ich meine damit, dass du mit der Zeit immer besser mit der Realität zurecht kommst. Und genau dabei würde ich dir gerne helfen.«
    Â»Mal sehen«, sagte ich.
    Â»Gib nie auf, Johanna. Du bist nun eine starke Frau und kein hilfloses Mädchen mehr. Ich wünsche mir, dass du das nie vergisst.«
    Hier genügte endlich wieder ein Nicken.
    Â»Bist du bereit, nach Hause zu gehen?«
    Ich nickte noch einmal. Ich hoffte, dass es das letzte Mal sein würde. Und meine Hoffnung schien sich zu erfüllen. Uschasnik erhob sich und streckte mir seine Hand hin. Ich ergriff sie. Das war nun endlich der Abschied.
    Â»Es war nicht immer leicht mit dir«, sagte er. »Aber ich muss sagen, dass
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