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Aschenwelt

Aschenwelt

Titel: Aschenwelt
Autoren: Timon Schlichen Majer
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Eins
    Jo lehnte sich über die Reling ihres Flugschiffes und schaute hinab auf einen bunten Flickenteppich aus Wiesen, Wäldern, Wassern und Städten. Sie winkte und rief etwas hinab, das die Bewohner dieser Welt nicht verstehen konnten, zu weit oben schwebte sie mit ihrem Schiff. Es umkreiste ein kirchturmhohes Windrad, das in der Mitte einer Stadt surrte und die Farben seiner Flügel weit in die Welt hinausstrahlte. Jo blickte hinauf in den Himmel, ein Sonnenstrahl durchbrach gerade eine der Wattewolken und blendete sie. Sie blinzelte und schlug die Augen auf. Sie lag in einem fremden Bett in einem fremden Zimmer.
    Die Sonne strahlte hell und warm durch ein nur mit dünnen Gardinen verhängtes Fenster und fiel auf nackte Haut neben Jo. Sie ließ ihren Blick über die Rundung des Pos gleiten, hinab auf den fein gewölbten Bauch und langsam hinauf zu den beiden hellen Brüsten. Dort verweilte sie und erfreute sich über den Anblick. Die Frau an ihrer Seite schlief noch, den Mund leicht geöffnet, ein wenig der weißen Zähne blinkte hervor, der Atem ruhig und gleichmäßig, die Augenlider geschlossen. Mach sie auf. Ich möchte deine Augen sehen, in ihnen versinken. Jo fuhr mit ihren Fingern durch das schwarze lange Haar der Frau, ließ Strähne für Strähne hindurchgleiten, es roch so frisch und klar wie die Morgensonne, die sie beide wärmte. Als ob Schneewittchen aus ihrem Glassarg gestiegen wäre, um dann schnurstracks zu mir zu laufen. Dieser Gedanke kam Jo schon einige Tage zuvor, als sich Nadeschdas und ihre Blicke zum ersten Mal begegnet waren. Jo hatte sich spontan verliebt – zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder. Zum ersten Mal war sie wieder mit jemandem nach Hause gegangen und in ein fremdes Bett gestiegen. Sie hatte Nadeschda auf einer Party kennengelernt.
    Jo wollte erst gar nicht hin, wollte zuhause bleiben, malen, Tee trinken, gammeln, in Ruhe gelassen werden. So wie sie es seit Jahren am liebsten hatte.
    Â»Wir gehen jetzt da hin, du faules Stück«, sagte Kevin, der mit ihr zusammen in der kleinen Altbauwohnung lebte und die selbstgesetzte Aufgabe zu haben schien, sie immer wieder mit seiner nie enden wollenden Feierlaune anstecken zu müssen.
    Â»Nenn mich nicht so, du blöder Arsch. Du weißt ganz genau, dass ich auf keine Party gehe.«
    Kevin verdrehte die Augen. Kein Mitgefühl, kein Verständnis. Jo ärgerte sich über ihn. Er von allen musste doch wissen, dass sie keine Partygängerin mehr war, schon lange nicht mehr.
    Â»Komm schon«, unternahm er einen weiteren Versuch. »Wir sind jetzt Studenten, und Studenten gehen feiern. Am besten jeden Tag. Außerdem beginnt jetzt ein neues Leben, und du solltest endlich mal wieder unter Leute. Ehrlich.«
    Â»Und was soll ich da?«
    Â»Was soll man auf einer Party! Spaß haben, Leute kennenlernen. Leben!«
    Â»Ich lebe.« Jo widmete sich wieder ihrem Bild, das sie an ihre Wand pinselte. So viel jungfräuliche Wand, die schrie geradezu danach, bemalt zu werden.
    Â»Nein, tust du nicht.« Kevin nahm ihr den Pinsel aus der Hand und packte sie an den Schultern. Jo warf ihm einen verwirrten Blick zu.
    Â»Hör zu, Jo«, begann er. »Ich bin hier, weil du mich gebeten hast, auf dich aufzupassen. Und das tu ich gerne, das weißt du. Manchmal glaube ich gar, dass ich nur dafür auf der Welt bin. Mag sein, und wenn, ich beschwere mich nicht, denn ich wollte es ja selbst so.« Er machte eine kleine Pause und schien über irgendetwas nachzudenken, denn er drehte seine Augen schräg nach oben, als suche er an der Decke einen Hinweis, wie seine Rede nun weitergehen könne. Er wurde fündig und ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Ich werde heute Abend da hingehen«, sagte er. »Und du wirst dabei sein, sonst kann ich nämlich nicht auf dich aufpassen.« Sein Grinsen breitete sich noch weiter aus.
    Â»Ich kann auf mich alleine aufpassen, Kevin.«
    Â»Au Mann. Das weiß ich doch auch! Sollte auch bloß ein Witz sein.« Er ließ ihre Schultern wieder los und blickte eine Weile mit ernstem Gesicht auf sie hinab.
    Â»Jetzt komm schon«, unternahm er einen letzten Versuch. »Das wird bestimmt lustig. Lass uns da hingehen, uns über die besoffenen Studenten amüsieren. Ich schau mich nach einer hübschen Studentin um und du auch. Ich geb dir auch einen alkoholfreien Cocktail aus. Ach was, der ganze Abend:
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