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Aschenwelt

Aschenwelt

Titel: Aschenwelt
Autoren: Timon Schlichen Majer
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Annes Leichentuch nichts mehr übrig bleibt. Über mir wölbt sich nun ein Himmel, wie er meinen Vorstellungen entspricht. Er ist nicht makellos blau. Auf ihm entstehen immer neue Wolkengebilde, eine große blaue Spielwiese für alle Arten von Wolken, durch die ich wie durch eine Zauberlandschaft aus Watte hindurchfliege. Die Sonne blitzt zwischen ihnen hindurch und schickt ihre Strahlen hinab auf meine Welt. Das Schreien der Teufel schwillt an und übertönt sogar das Getöse der Maschinen meines Schiffes. Ich beuge mich über die Rehling und schaue hinab. Die Teufel laufen wild durcheinander. Unter ihnen herrscht Chaos. Kurz versichere ich mich, dass der Sackleinenhimmel ganz verschwunden ist. Dann fliege ich das Schiff hinab zu den Teufeln. Ich will das Spektakel, das die Sonne mit ihnen anrichtet, aus der Nähe betrachten.
    Die Sonnenstrahlen fressen jeden einzelnen der Teufel. Sie müssen große Qualen erleiden, so wie sie schreien, und so verzerrt wie ihre Fratzen sind. Flammen züngeln aus ihren Körpern. Sie verbrennen von innen heraus und lösen sich in Rauch auf, der davongeweht wird, hin zu einem Ort in meiner Welt, an dem sie für alle Zeiten ein verfluchtes Leben als Rauchwölkchen fristen müssen.
    Als auch der letzte Rauch fortgeweht ist, lande ich meinen Flugapparat, schalte die Motoren ab und steige aus. Es ist still. Und leer. Nun bin ich alleine hier.
    Mit wehem Herzen denke ich an Anne. Wie sehr ihr dieser Flugapparat gefallen hätte, und noch mehr, dass ich so leicht die Teufel besiegen kann. Ganz ohne Zauberrauch, und ganz alleine, ohne jegliche Hilfe. Ich stelle mir Anne als Engel vor, wie sie vom Himmel herabschaut, nur auf mich. Sie ist bestimmt genauso stolz auf mich wie ich auf mich selbst.
    Aber es ist noch lange nicht genug. Ich muss meine Welt mit neuem Leben füllen. So wie sie jetzt ist, fühle ich mich nicht wohl. Den blutroten Linoleumboden will ich lassen, als Zeichen für Annes Leiden. Er soll der Grundstock werden für eine neue Welt, die ich auch für Anne erschaffen will.
    Für ihren Mittelpunkt habe ich bereits eine Idee. In ihrer Mitte muss ein Windrad stehen. Ein Windrad, wie Kinder es gerne haben, mit dem sie gerne spielen, so bunt wie möglich, das summend im Wind Kreise in allen Farben zeichnet. So wie Anne es liebt. Aber es darf natürlich nicht so klein wie ein Kinderspielzeug sein, sondern so groß wie möglich, als wolle es in den Himmel hineinreichen. Es muss noch von der entferntesten Ecke meiner neuen Welt zu sehen sein, als Orientierung für jede verlorene Seele. Dort ist Annes Windrad, dort bin ich in Sicherheit.
    Und um Annes Windrad herum baue ich eine Stadt. Die perfekte Stadt, so wie Anne und ich sie uns vorgestellt haben. Es gibt dort keine Schulen, keine Bankhäuser oder Regierungsgebäude, keine hässlichen Architektursünden. Hier gibt es nur die abgefahrensten Gebäude aus der Welt, die wir kennen, diese aber noch besser, noch bunter, noch verrückter. Ein Gebäude nach dem anderen lasse ich entstehen, Farben fließen in meine Welt, wo zuvor nur rot, grau und schwarz zu finden war. Statt Autos stelle ich vor jedes Gebäude Fluggeräte in den verschiedensten Formen und Arten. Keines so groß wie meines, denn ich bin schließlich die Herrscherin.
    Ich besteige mein Flugschiff und überfliege meine Stadt. Unterwegs pflanze ich noch Alleen, Parks und, natürlich, einen Grünstreifen auf jede Straße. Denn jede Straße braucht einen Grünstreifen. Grünstreifen kann es nicht genug geben.
    Und dann werde ich Zeuge von etwas ganz Erstaunlichem. Aus einem der Gebäude tritt eine Lumpengestalt ganz langsam und zögerlich auf die Straße hinaus. Sie schaut sich um, schaut anschließend zu mir hinauf, hebt die Hand, als grüße sie mich. Ich winke. Die Lumpengestalt wirft ihre Kapuze zurück und die Lumpenkleidung ab. Darunter kommt ein Mensch zum Vorschein. Vielleicht kenne ich ihn, vielleicht auch nicht. Es ist gleichgültig. Ich werde ihn bald kennenlernen. So wie all die anderen, die nun aus allen möglichen Gebäuden in die Sonne treten, ihre Lumpen abwerfen und meine Stadt mit Leben füllen. Viele besteigen die für sie bereitgestellten Fluggeräte und fliegen damit umher und spielen mit ihnen wie kleine Kinder.
    Ich bin bereit für die letzte große Arbeit, die ich noch zu tun habe. Ich brauche jemanden an meiner Seite. Und dieser
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