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Gefaehrliche Gedanken - Zu schoen zum sterben

Gefaehrliche Gedanken - Zu schoen zum sterben

Titel: Gefaehrliche Gedanken - Zu schoen zum sterben
Autoren: Hanna Dietz
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    Damit das mal von Anfang an klar ist: Ich habe zwei Fehler. Ich bin notorisch neugierig. Und ich kann meine Klappe nicht halten. Ach ja und ich bin ziemlich impulsiv. Das wären dann also drei Fehler. Wenn man gnadenlose Ehrlichkeit auch noch dazuzählt, dann sind es vier. Vier Fehler von 759 möglichen, die ein Mensch haben kann, ist eigentlich eine gute Quote. Damit müsste man doch prima zurechtkommen. Könnte man meinen. Aber irgendwie scheine ich mir ausgerechnet die Fehler ausgesucht zu haben, mit denen man sich garantiert am meisten Ärger einhandelt.
    Zum Beispiel heute. Es war mein erster Tag auf der neuen Schule. Ein exklusives Mädchengymnasium. Privatschule, versteht sich von selbst. Und katholisch! Versteht sich überhaupt nicht von selbst, schließlich ist keiner in unserer Familie katholisch. Geld ist unsere Konfession. Und das reicht, um an einer katholischen Privatschule mit offenen Armen empfangen zu werden. Selbst mitten im Schuljahr. Und selbst dann, wenn man sich von der anderen Schule nicht gerade mit den besten Empfehlungen verabschiedet hat. Danke übrigens an dieser Stelle an meine ex-beste Freundin Silvy! Du bist wirklich großartig mit deinem falschen Grinsen. Und deinen Intrigen. Und deiner Petzerei. Und deiner… ach, egal. Wo war ich stehen geblieben: Also, ich wurde gefeuert. Sagt man das so? Das Vertrauensverhältnis sei gestört. Auf dieser Basis ließe sich nicht mehr zusammenarbeiten und aus Rücksicht auf die anderen Schüler, die ihre Noten ehrlich erarbeiten… blablabla. Dass ich nicht lache! In Latein hatten alle ihre Smartphones unter dem Tisch und ließen sich die Texte online übersetzen. In Biologie schleuste Caren immer ihren Bruder ein, der gerade seine Doktorarbeit über Mikroben schrieb und dann während der Klausuren in der Besenkammer neben den Toiletten hockte und ihr die Lösungen verriet. Und in Kunst erst! Da lieferten die Zwillinge Susi und Sonja immer fantastische Arbeiten ab, die ihre ehrgeizige Mutter zu Hause fabriziert hatte. Und dann gaben sie mit ihren Einsen auch noch an wie zehn nackte Paviane. Ist das zu glauben?
    Ich merke gerade, ich schweife ab. Passiert mir ab und zu. Ist das auch ein Fehler? Könnte sein. Dann wären es also fünf. Fünf ist auch noch eine ganz gute Zahl. Zurück zum Thema: Ich fing also auf der neuen Schule an. Mein Vater brachte mich hin, was ich ziemlich nett fand, weil er ja immer alle Hände voll zu tun hat. Die Schule ist in einem dieser alten, pompösen Gebäude vom Ende des 19.Jahrhunderts untergebracht, man nennt es auch Jugendstilvilla – und bei einer teuren Privatschule trifft das den Kern ziemlich gut. Denn die Jugend, die darin unterrichtet wird, hat einen ganz besonderen Stil, was Kleidung und Verhalten angeht.
    Aber ich greife mal wieder vor. Also, die Schulleiterin Meinhilde von Cappeln stand am oberen Ende der breiten Steintreppe mit der weißen Balustrade. Rot gefärbte Haare, zu einem Dutt verknotet, grauer Rollkragenpullover, der ihren langen, dünnen Hals nicht verbergen konnte, ein Schal um die schmalen Schultern gegen die Novemberkälte, blauer Bleistiftrock, straff gespannt an den breiten Hüften, blaue Pumps. So alleine vor dem großen Gebäude stehend erinnerte sie mich an einen Kontrabass, den jemand im Orchestergraben vergessen hatte.
    »Willkommen an der Liebfrauenschule, Natascha«, rief sie und streckte mir die Hand hin, noch während ich die Stufen erklomm. »Sie werden sich bei uns wohlfühlen und sicher eine Menge Freundinnen finden!«
    Und wie sie mich so von oben bis unten musterte, wurde mir klar, dass sie das nur deshalb gesagt hatte, weil man das eben so macht als Schulleiterin. Aber natürlich würde ich mich nicht wohlfühlen. Und schon gar keine Freundinnen finden. So jemand wie ich findet keine Freundinnen. Seit Silvy halte ich es jedenfalls so: Alle, die nicht meine Feinde sind, sind die besten Freunde, die ich habe. Das reicht mir. Mit dem Thema Freundinnen bin ich durch.
    Ich stieg die letzten Stufen hoch und ergriff ihre schmale Hand. »Sicher«, sagte ich und lächelte sie an. Ich überragte die Schulleiterin um mindestens einen Kopf und schaute nun, da ich neben ihr stand, von oben auf sie runter. Sie schien geradezu winzig. Direktorin von Cappeln wandte sich an meinen Vater. »Ich freue mich sehr, Ihre Tochter als Neuzugang begrüßen zu dürfen, Herr Sander.« Sie schüttelte meinem Vater eifrig die Hand. Der goldene Kreuzanhänger, der sich glänzend von dem Grau ihres
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