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Aschenwelt

Aschenwelt

Titel: Aschenwelt
Autoren: Timon Schlichen Majer
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Tabletten, die mein Herz zum Stillstand bringen konnten, nahm ich nur genug davon. Ich könnte mich mit dem Gürtel meines Bademantels im Badezimmer erhängen, oder mir einfach die Pulsadern aufschneiden. Alles brächte mich zu Anne. Aber keine Methode erschien mir sicher genug. Und für keine einzige brachte ich den Mut auf. Mir blieb nur eines: Ich musste abhauen, Zauberrauch kaufen, Teufel killen, zuviel Zauberrauch nehmen, viel zu viel, um endlich irgendwann, möglichst bald, dorthin zu gelangen, wo Anne auf mich wartete.
    Doch eines Tages geschah ein Wunder. Genau als solches bezeichne ich es heute noch, als hätte eine verborgene Macht mich geleitet und auf den richtigen Weg geschickt. Vielleicht war es Annes Geist. Vielleicht war es Gott. Vielleicht war es etwas in mir, das weiterleben wollte.
    Ich wachte eines Morgens auf, noch die grausigen Bilder meines letzten Traumes vor meinem inneren Auge. Draußen war es Winter geworden, grau, kalt, nass und dunkel. Und an jenem Morgen fehlte mir plötzlich die Sonne. Ihr Licht, ihre Wärme. Sie fehlte mir so sehr wie nie zuvor. Doch sie hatte sich für einige Monate verabschiedet. Und in meiner Aschenwelt hinderte sie der Sackleinenhimmel daran, auf meine Welt zu scheinen. Das Sackleinen musste weg, Annes Leichentuch musste weg. Und an jenem Morgen fiel mir endlich wieder ein, wie ich mit Uschasnik in meiner ersten Meditation allein durch meine Gedankenkraft das Flammenschwert herbeigezaubert hatte. Es war überhaupt das erste Mal seit langem, dass ich mich wieder daran erinnerte, dass ich all dem nicht machtlos ausgeliefert war.
    Ich setzte mich in meinem Bett auf, schloss die Augen, entspannte mich, wie Uschasnik es mir beigebracht hatte, und reiste freiwillig in die Aschenwelt.
    Doch was nun? Alles ist möglich, ich bin die Herrscherin. Das hatte mir Uschasnik immer wieder eingebläut. Das Feuerschwert erscheint sofort, als ich mir das Bild von ihm vorstelle. Doch was brauche ich wirklich? Das Feuerschwert taugt nur dazu, die Teufel zu töten. Aber ich will die Sonne sehen. Sie soll endlich wieder scheinen. Ich brauche ein Bild, so wie damals beim Flammenschwert. Ich gehe in Gedanken meine Lieblingskünstler und deren Bilder durch. In wahnsinniger Geschwindigkeit ziehen dutzende von Bildern vor meinem inneren Auge vorüber. Aber nichts davon erscheint mir sinnvoll oder für irgendetwas zu gebrauchen, bis eines hängen bleibt. Es ist das Bild eines völlig durchgedrehten Fluggeräts, das aussieht wie eine Mischung aus einem Zeppelin, einem Schiff aus der Zeit von Columbus, einem Flugzeug und einem Raumschiff. Unter dem Zeppelin hängt an einem Gewirr von Tauen der hölzerne Rumpf eines Segelschiffes, am Bug blähen sich drei Segel übereinander, und unter dem Rumpf sind metallische Raketendüsen angebracht. Außerdem hat es noch Flügel, an denen je zwei Propeller rotieren. Das Ungetüm dampft und speit Feuer. Abgefahrenes Teil. Das brauche ich. Ich konzentriere mich und stelle mir jedes kleinste Detail vor. Staunend schaue ich zu, wie es vor meinen Augen entsteht. Als es fertig ist, wird eine Gangway heruntergelassen, über die ich in das Flugschiff steigen kann. Ich sehe niemanden, keine Besatzung. Und als ich mich frage, wie ich das Ding denn fliegen soll, hebt es unter lautem Getöse vom Boden ab und fliegt zum Sackleinenhimmel hinauf. Ich weiß ganz genau, was ich vorhabe. Und zu diesem Zweck baue ich mein Flugschiff während der Fahrt zu einem Kampfgerät um.
    Der Boden unter mir ist von einem Augenblick auf den nächsten mit Teufeln übersät. Sie schauen zu mir hinauf und schreien wie Schweine, die zur Schlachtbank geführt werden. Manche springen hoch, als wollen sie mich erreichen. Ich lache sie aus.
    Der Umbau meines Schiffes ist inzwischen fertig. Vorne am Bug, über dem Zeppelin und an den Enden der Flügel drehen sich nun riesige Kreissägeblätter. Das Schiff steigt immer höher, bis es schließlich das Sackleinen erreicht und die Sägen ihren Dienst verrichten können. Ich muss nur zuschauen, das Schiff und die Sägen tun genau das, was ich mir vorstelle.
    Die Sägeblätter schneiden in das Sackleinen und zerreißen es zu kleinen Fetzen. Sie fliegen umher und fallen zum Boden hinab. Das Sackleinen schwindet immer mehr und die Sonne flutet in meine Welt wie Wasser in ein ausgetrocknetes Flussbett. Die Sägen schneiden und zerfetzen, so lange, bis von
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