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Virga 01 - Planet der Sonnen

Titel: Virga 01 - Planet der Sonnen
Autoren: Karl Schroeder
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    Hayden Griffin rupfte gerade einen Fisch, als der Schwerkraftalarm ertönte. Das dumpfe Dröhnen der Glocke drang sogar durch die dicken Holzwände der Konzernkantine; der Alarm war so angelegt, dass er im ganzen Habitat zu hören war. Hayden hielt inne, runzelte die Stirn und ließ den Fisch probeweise los. Vier Federn schwebten wie Kerzenflammen durch einen Sonnenstrahl, der sich durch eine Ritze im Fußboden in den Raum verirrt hatte. Der Fisch landete einen Meter links von ihm. Hayden beobachtete, wie ihm die Federn in trägen Bogen folgten und daneben zu liegen kamen.
    »Ziemlich früh zum Hochfahren, oder?«, fragte Hayden. Miles antwortete mit einem zerstreuten Knurren. Der frühere Soldat, jetzt Koch des Konzerns, war damit beschäftigt, einen dampfenden Truthahn, den er soeben aus der kleinen Hölle der Bratröhre gerettet hatte, mit Sauce zu begießen. Sein kahler Schädel glänzte im Feuerschein. »Vielleicht brauchen sie mich trotzdem«, fuhr Hayden fort. »Ich sehe lieber mal nach.«
    Miles blickte auf. »Deine Ma hat dich hier abgestellt«, sagte er. »Du warst mal wieder unartig. Heb den Fisch auf.«

    Hayden lehnte sich mit dem Rücken gegen den Tisch und verschränkte die Arme. Er suchte noch nach einer Antwort, die nicht weinerlich klang, als der Alarm zum zweiten Mal ertönte, diesmal mit mehr Nachdruck. »Siehst du?«, sagte er. »Sie brauchen jemanden. Niemand im ganzen Habitat kann mit den Bikes so gut umgehen wie ich. Und wie willst du überhaupt den Fisch kochen, wenn die Schwerkraft wegbleibt?«
    »Die Schwerkraft bleibt nicht weg, Junge«, fuhr Miles ihn an. »Die ist stabil.«
    »Dann sollte ich erst recht nachsehen, was los ist.«
    »Du willst doch nur miterleben, wie deine alte Dame die Sonne entzündet«, sagte Miles.
    »Du etwa nicht?«
    »Das ist heute nur ein Testlauf. Ich warte bis morgen, wenn es wirklich so weit ist.«
    »Komm schon, Miles. Ich bin doch gleich wieder da.«
    Der Koch seufzte. »Meinetwegen, verschwinde und bring die Bikes in Gang. Aber danach kommst du sofort zurück.« Hayden stürmte auf die Tür zu, und Miles rief ihm nach: »Lass den Fisch nicht auf dem Boden liegen!«
    Als Hayden durch den Flur zur Vorderseite der Kantine ging, sah er wieder einen Sonnenstrahl durch die Ritzen des Dielenbodens dringen. Das war kein gutes Zeichen; Mama musste auf eine dichte Wolkendecke warten, bevor sie die neue Sonne des Habitats entzünden konnte. Die Slipstreamer durften sie nämlich nicht sehen. Slipstream würde eine weitere Sonne so dicht an seiner eigenen niemals dulden. Das Projekt
war geheim - jedenfalls bisher. Morgen würde die ganze Welt davon erfahren.
    Hayden ging rückwärts an der hochglanzpolierten Eichentheke vorbei, ließ seine langen Arme lässig an den Seiten herunterbaumeln und sagte: »Es gab Alarm. Muss nach den Bikes sehen.« Einer der Gäste grinste skeptisch; Mama Fifty, die hinter der Bar stand, warf ihm einen misstrauischen Blick zu. Doch bevor sie etwas sagen konnte, war er schon aus der Tür.
    Hier draußen wehte wie immer ein scharfer Wind, er pfiff sogar von unten durch die Straßenplanken. Die Sonne spitzte über die Firste der steilen Dächer, Lichtstreifen und Rechtecke glitten über die Beplankung und an den Wänden der dicht aneinandergebauten Häuser empor, zwischen denen kein Fleckchen Grund frei blieb. Die Bretter federten unter Haydens Schritten, als er im Laufschritt die engen Kurven nahm. Die Straße war um diese Tageszeit fast menschenleer.
    Gavin erwachte nicht vor dem Abend. Dann strömten die Arbeiter, die hier schliefen, lachend und schwatzend aus allen sechs Himmelsrichtungen zusammen. Die Händler klappten die Läden vor ihren Schaufenstern erst für den Nachtmarkt zurück, wenn überall die Gaslaternen angezündet wurden. Nun öffnete auch die Tanzbar ihre Pforten für all jene, die noch genügend Energie für ein paar Runden hatten. Hayden verdiente sich mit dem Anzünden der Laternen ein paar Scheine zusätzlich. Schließlich konnte er gut mit Feuer umgehen.
    Wenn Hayden sich erst die Bikes vornahm, würde er die Sonne nicht sehen können, also machte er einen Umweg. Er schlüpfte durch einen schmalen Durchgang
zwischen zwei hohen Häusern und erreichte eine der beiden Ringstraßen des Habitats - eigentlich war es nur ein schmaler überdachter Fußweg. Das Dach war an die Häuser und Geschäfte angebaut, deren Eingänge jetzt beim Hinaustreten zu seiner Linken lagen. Nach rechts erstreckte sich ein rauer Bretterzaun, der
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