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Virga 01 - Planet der Sonnen

Titel: Virga 01 - Planet der Sonnen
Autoren: Karl Schroeder
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Piloten.«
    Nach einer Ewigkeit durften sie endlich die lange, geschwungene, überdachte Treppe zur Straße hinabsteigen. Hier musste Hayden noch einmal endlos lange
warten, während ein Mann in Uniform Vaters Papiere prüfte. Inzwischen war er so abgelenkt, dass er nur am Rande mitbekam, wie aufgesetzt Vaters Heiterkeit war oder wie erleichtert er die Schultern sinken ließ, als man ihnen endlich gestattete, die Stadt zu betreten. Doch schon nach ein paar Schritten wandte er sich an Mutter und sagte leise: »Ich bin bald zurück. Geh schon mal vor zum Hotel, aber warte nicht auf mich. Erledige lieber ein paar Einkäufe, damit du auf andere Gedanken kommst.«
    »Wo will er denn hin?« Hayden sah Vater nach, der in der Menge verschwand.
    »Es hat geschäftlich zu tun«, antwortete sie, aber es klang bekümmert.
    Wenn der Vorfall irgendwelche Befürchtungen geweckt haben sollte, so vergaß Hayden sie schnell. Er war hingerissen von dem riesigen Habitat. Sogar die Schwerkraft fühlte sich hier anders an - die Innenohrflüssigkeit bewegte sich langsamer -, und es gab Stellen, von wo aus man das Ende des Palastes gar nicht sehen konnte. Er folgte seiner Mutter in verschiedene Geschäfte, und während sie für das Papier für die Zeitung, die sie mit anderen herausgab, um Großhandelspreise feilschte, begnügte er sich damit, durch die Schaufenster die vorüberziehenden Menschenmassen zu beobachten.
    Doch allmählich fiel ihm etwas auf. Mutter trug, wie in den Randbezirken von Aerie üblich, viele bunte Kleidungsstücke übereinander, und sie unternahm, genau wie Vater, keinen Versuch, ihren Akzent zu verbergen. Sie unterschied sich allein schon durch ihr schwarzes Haar und die dunklen Augen von der blonden,
helläugigen Bevölkerung dieser Stadt. Die Geschäftsinhaber waren nicht ausgesprochen feindselig, aber auch nicht besonders zuvorkommend. Auch die Kinder auf der Straße waren nicht gerade freundlich. Hayden lächelte ein paar von ihnen an, aber sie wandten sich ab.
    Es waren nur Kleinigkeiten, und vielleicht hätte er sie vergessen, wäre nicht etwas passiert. Als sie am späten Nachmittag auf das Hotel zugingen - Hayden war mit Paketen beladen, seine Mutter summte vergnügt vor sich hin -, sah er Vater am Eingang stehen. Er hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Hayden winkte und rief »Hallo«, doch dabei spürte er, wie seine Mutter die Finger in seine Schulter krallte. Erst jetzt bemerkte er die Männer, die bei seinem Vater standen, Männer in Uniform, die sich wie auf Kommando umdrehten, als sie Haydens Stimme hörten.
    »Verdammt«, flüsterte Mutter, als die Polizisten auf sie und ihren völlig verwirrten Sohn zusteuerten.
    Bis zum Ende der Reise wartete Hayden mit seiner Mutter zumeist in kahlen, hellgrün gestrichenen Räumen. Sie war blass und schweigsam und antwortete nicht auf seine immer aufsässigeren Fragen. Sie kehrten auch nicht ins Hotel zurück, sondern bekamen ein Kämmerchen mit zwei primitiven Pritschen an der Rückseite der Polizeiwache zugewiesen. »Keine Zelle«, sagte der Wachtmeister, der sie hinführte. »Eine kostenlose Unterkunft für Angehörige.«
    Vater tauchte am nächsten Tag wieder auf. Er wirkte mitgenommen und kleinlaut und hatte einen Bluterguss auf der Wange. Mutter fiel ihm um den Hals und weinte, Hayden stand verwirrt und in dumpfem Zorn
daneben und schlang die Arme um sich selbst. Am gleichen Tag bestiegen sie ein Passagierschiff, das weit weniger vornehm war als das, mit dem sie hergeflogen waren. Hayden sah die Feuerräder von Rush in der Ferne verschwinden, ohne dass er sie erkundet hätte.
    Später hatte ihm Vater von der Widerstandsbewegung erzählt und ihm erklärt, wie wichtig es sei, die Talente und die Mittel zusammenzuführen, die Aerie brauchte, um eigene Wege zu gehen. Hayden glaubte verstanden zu haben, aber was für ihn zählte, war nicht die Politik; was zählte, war die Erinnerung daran, wie er neben seinem Vater, dem man die Hände auf den Rücken gefesselt hatte, durch Rushs belebte Straßen gegangen war.
     
    Die Galerie war nur ein Stück Straße ohne Zaun, aber mit einem Geländer, über das man hinwegschauen konnte. Mutter sprach von einem Mutsteg, Miles verwendete den interessanteren Ausdruck »Kotzstand«. Hayden trat an das Geländer, umfasste es mit beiden Händen und riss die Augen auf.
    Vor ihm wogte, zum Greifen nahe, ein riesiger Wolkenberg. Die neue Sonne musste dahinter sein; die Taue, die von Gavins Straße zum Bauplatz führten,
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