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Das Geheimnis der Salzschwestern

Das Geheimnis der Salzschwestern

Titel: Das Geheimnis der Salzschwestern
Autoren: Tiffany Baker
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P ROLOG
    Und wieder einmal war in Prospect die Zeit des Feuers gekommen, die Zeit für Kälte und Eis, die jedoch auch Raum bot für Hitze und Rauch. Es war der Moment für Salz und Prophezeiungen, an dem Vergangenheit und Zukunft sich streiften und das Alte dem Neuen wich, was es auch mit sich bringen mochte.
    Wie jedes Jahr hatten die Männer der Stadt auch dieses Mal eine ganze Woche gebraucht, um den Scheiterhaufen zu errichten. Sieben Tage lang hatte Claire genau beobachtet, wie der Holzstoß mitten auf Tappert’s Green immer weiter wuchs. Die dicksten Stämme bildeten die Basis und waren in gleichmäßigen Abständen am Boden verteilt, so dass die Luft dazwischen zirkulieren konnte. Darüber türmten sich die dünneren Äste zu einem riesigen brennbaren Tipi. Die Männer sahen zu ihr hinüber, wenn sie mit ihrer Salzlieferung langsam an ihnen vorbeifuhr, hielten kurz in ihrer mühevollen Arbeit inne. Mit vor Kälte geröteten Wangen starrten die bulligen Typen sie dann unter ihren Hüten misstrauisch an. Keiner von ihnen grüßte, und das hatte Claire auch gar nicht erwartet. Denn wenn sie und ihre Schwester nicht wären, wäre das Feuer schließlich gar nicht nötig.
    Claires Familie war bei den Feierlichkeiten nie willkommen gewesen, obgleich sie doch der Anlass dafür war. Sie walteten hier nur ihres Amtes. Zunächst entzündete der Stadtälteste den Scheiterhaufen. Dann traten entweder Claire oder ihre Schwester Jo mit einer Handvoll Salz vor, um es in die Flammen zu werfen und herauszufinden, was es ihnen zu sagen hatte. Es handelte sich dabei um die simpelste Art der Weissagung: das Aufeinanderprallen zweier Elemente. Wenn die Flammen sich blau färbten, sagten sie der Stadt damit ein erfolgreiches neues Jahr voraus. Flackerte das Feuer gelb auf, stand eine Veränderung an. Schwarzer Rauch hingegen war zu schrecklich, um auch nur darüber nachzudenken.
    Als Claire zum ersten Mal diese Aufgabe übernommen hatte, hatten sich die Flammen tatsächlich schwarz gefärbt.
    Sie war damals erst sechs und so klein, dass sie sich recken musste, um die Körnchen den Flammen übergeben zu können. Es knisterte und knackte, und dann erhob sich ohne jeden Zweifel pechschwarzer Qualm. Hinter ihr schnappten die Stadtbewohner keuchend nach Luft und pressten ihre Kinder fester an sich. Dann verengten sie die Augen zu Schlitzen wie Käuze auf der Jagd und zogen sich in die Schatten zurück. Der Kreis rund um Claire, ihre Mutter und ihre Schwester wurde immer größer und kälter.
    Jo legte Claire die Hand auf die Schulter, beugte sich zu ihr hinunter und flüsterte ihr ins Ohr: »Jetzt tritt vom Feuer weg. Das Salz hat gesprochen, daran kannst du nichts ändern. Nimm meine Hand und komm mit Mama und mir mit.«
    Claire runzelte die Stirn: »Können wir denn nicht noch bleiben?« Den ganzen Herbst über hatten ihre Schulkameraden von dem Fest erzählt, bei dem Musik spielte, getanzt wurde und es im Schein der Flammen sogar zu dem einen oder anderen verschämten Kuss kam.
    Jo schüttelte den Kopf. »Niemals. Das habe ich dir doch erklärt, Claire. Wir sind nur hier, um die Zukunft zu offenbaren, aber nicht, um daran teilzuhaben.« Und bevor ihre Schwester noch weiter protestieren konnte, packte Jo sie am Arm und zog sie mit sich, marschierte mit ihr zurück in ihre ruhige Marsch. Dabei vermied Jo die Blicke der anderen, selbst den von Whit Turner, dem reichsten und charmantesten Typen in der Stadt, der noch dazu ihr Liebster war. Claire sah, wie Whits Mutter Ida höhnisch den Mund verzog, als sie vorbeigingen, so, als seien sie nicht besser als die Asche unter ihren Schuhen.
    Jahr für Jahr war das der Moment, in dem sie den sandigen Weg nach Hause zurückgingen und dabei das immer lauter werdende Getöse der Festlichkeiten und das Jauchzen der Menschen hörten, die ihre eigenen kleinen Salzrationen ins Feuer warfen. Jedes Mal ärgerte Claire sich darüber, dass sie derart ausgeschlossen wurden, und beschwerte sich bei Jo und ihrer Mutter. Sie fand, dass die Gillys wie alle anderen waren und trotz des Salzes auch ums Feuer tanzen sollten.
    Aber das war damals, als sie noch ganz unschuldig war, bevor die Liebe kam und sie mit ihren rußigen Fingern streifte. Von dieser Berührung erholt man sich nie, und vielleicht sollte es ja auch genau so sein, dachte Claire. Das Leben zeichnete die Menschen, und auf die Unglückseligen, die ungeschoren davonkamen, wartete im Jenseits womöglich ein viel heißeres Feuer. Claire musste es
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