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Anschlag auf den Silberpfeil

Anschlag auf den Silberpfeil

Titel: Anschlag auf den Silberpfeil
Autoren: Stefan Wolf
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Stühlen, aber sie fühlten sich wesentlich weicher an. Das lag am guten
Gewissen, das bekanntlich ein Kissen — ein Ruhekissen — ersetzt.
    Auf dem Schreibtisch lag Nitschls
Brieftasche — daneben die Fahrkarte, mit der Rückseite nach oben.
    Schmutzigbraun hob sich der rhomboide
Teefleck von der Rückseite ab.
    Tim fühlte keinen Triumph. Er war
ärgerlich über die unvermeidliche Verzögerung. Christine war nicht ärgerlich,
nur aufgeregt. Das schien ihren Heuschnupfen zu verschlimmern. Sie nieste, als
kriege sie Geld dafür.
    Der Polizist hatte alles zu Protokoll
genommen.
    Jetzt fühlte er sich verpflichtet, den
Übeltäter moralisch zu belehren.
    „Die Fundunterschlagung“, meinte er, „ist
verwerflich und unbedingt zu ahnden, aber doch — aufgrund Ihrer angespannten
Finanzlage, Herr Nitschl — menschlich verständlich. Sie wollen Ihren Onkel
besuchen. Dort sind Sie eingeladen. Dort werden Sie, wie Sie selbst sagen, voll
versorgt. Da wäre es zumutbar gewesen, daß Sie die Reise ohne Taschengeld
antreten. Deshalb hätten Sie den gültigen Fahrausweis, als Sie ihn fanden,
abgeben müssen. Trotzdem, wie gesagt, ist Ihr Verhalten verständlich. Dann aber
hört jedes Verständnis auf. Sie griffen Peter Carsten an, als er Sie stellte.
Nachdem der Ihren Angriff abgewehrt hatte, zückten Sie Ihr Messer. In der Sache
kommt noch — das versichere ich Ihnen — einiges auf Sie zu. Nun wohl, wir haben
die Adresse Ihres festen Wohnsitzes. Und Peter Carsten verzichtet auf Anzeige.
Sie können also Ihre Reise fortsetzen. In Ihrem Heimatort werden Sie von der zuständigen
Polizeibehörde Bescheid erhalten.“
    Nitschl stand auf.
    Ein finsterer Blick streifte Tim.
    Seine Beine stakten, als er
rausmarschierte. Immerhin — er schloß die Tür hinter sich, ohne daß der Rahmen
bebte.
    „Und wie kommen wir jetzt weiter?“
fragte Tim. „Der Silberpfeil hat nicht auf uns gewartet.“
    Der Polizist lächelte und sah zur Uhr. „In
20 Minuten fährt ein Triebwagenzug.“
    „Der hält sicherlich an jedem
Hühnerstall“, meinte Tim. „Jedenfalls an jeder Station. Das ist ja der Sinn der
Nahverkehrszüge.“ Er blickte zur Wand, wo Ankunfts- und Abfahrtstafel hingen. „Gleis
vier.“
    Der Nachmittag neigte sich, als
Christine und Tim zu Gleis vier hinübergingen — durch die Unterführung und dann
eine Treppe hinauf.
    Kühler Wind pfiff über die Bahnsteige.
An Gleis vier lungerten einige Reisende herum. Nitschl stand am Kiosk und
kaufte eine kleine Flasche, aus der er alsbald nuckelte. Vermutlich brauchte er
die Stärkung.
    „Ob mir nun von der Bundesbahn das Geld
erstattet wird“, sagte Christine, „weiß ich immer noch nicht. Wahrscheinlich
nicht, denn der Fahrausweis wurde benutzt. Ich müßte mich an Otto Nitschl
halten, von ihm mein Geld fordern. Aber der ist arbeitslos. Hat keinen Beruf
erlernt, ist nur Hilfsarbeiter. Und wenn ich mir einen Anwalt nehme, kommt
letzten Endes doch nichts dabei raus. Ich werde wohl verzichten.“
    Tim nickte. „Den 298 Mark stehen
Scherereien für mindestens 2980 Mark gegenüber.“ Er überlegte. „Andererseits
könnten wir Nitschls Onkel fragen, ob der für die Verfehlung seines Neffens
aufkommt. Namen und Adresse habe ich mir gemerkt, als Nitschl alles zu
Protokoll gab. Der Onkel heißt Franz Hauke und hat einen Tabakwarenladen bei
uns im Hauptbahnhof. Kenne den Laden. Vom Sehen, jedenfalls. Als
leidenschaftlicher Nichtraucher meide ich solche Stätten. Was da über den
Ladentisch geht, untergräbt die Gesundheit und höhlt die Kondition aus. Aber es
gibt ja immer noch genügend Gehirnknackis, die sich den Teer in die Lungen
ziehen. Bei Onkel Franz rollt sicherlich der Rubel. Da könnte er die 298 Mark
leicht lockermachen. Und Neffe Ottos Ansehen hätte wieder ein Glanzlicht.“
    Christine nickte erfreut. „Eine gute
Idee, Tim. Würdest du mitkommen zu diesem Hauke?“
    Tim verzog keine Miene. „Selbstverständlich.“
    Niemals, dachte er, werde ich einem
Mitmenschen meine Hilfe versagen. Hartes Los — das! Denn heute komme ich
bestimmt nicht mehr rechtzeitig in die Penne. Sehe ich meine Freunde noch?
Klößchen bestimmt. Aber für Gaby und Karl wird’s zu spät.
    Christine nieste dreimal — gegen den
Wind — und hielt sich dann den Kopf. Die häufigen Erschütterungen schmerzten.
    Der Triebwagen schlich sich heran. Es
waren zwei Wagen, die ab hier eingesetzt wurden. Nitschl stieg in den ersten,
Christine und Tim fanden Plätze im hinteren.
    Ruckend setzte sich der
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